Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Von der Rückzugstaktik der Russen 
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Von der Rückzugstaktik der Russen 
Bei ihrem Rückzug befolgten die Russen die Taktik, die verlassenen Gegenden nur in 
möglichst geräumtem Zustand den nachrückenden Verbündeten zu überlassen. Als Gründe 
für dieses barbarische Vorgehen gibt die „Nowoje Wremja" in einem Aufruf, den sie 
am 2. Juli 1915 an das russische Volk richtete, folgendes an: „Der unserem Feinde 
in Galizien zugefallene Erfolg beflügelt seine Schritte und gibt ihm die Hoffnung, 
weiter in das Gebiet, daS jetzt noch unsere Armee besetzt hält, einzudringen. Unsere 
Armee wird beim Rückzüge auf die ihr vorgeschriebenen Stellungen zeitweise einen Teil 
des vaterländischen Bodens räumen müssen, dem Feinde die Erzeugnisse friedlicher Arbeit 
und die aufgespeicherten Reichtümer überlassend. Wir kennen jetzt die Deutschen: wissen 
mit welch beispiellosem Zynismus sie Ehre, Würde und Rechte der friedlichen Bevölke 
rung mit Füßen treten. Nach allem Erlebten aus menschliches Benehmen gegenüber den 
friedlichen Einwohnern von seiten der blind wütenden Teutonen zu rechnen, ist aus 
geschlossen. Möge daher jeder russische Bürger von einem Gedanken durchdrungen sein, 
dem Bewußtsein der Pflicht gegenüber dem Vaterlande, und möge jeder russische Untertan 
seine Kräfte anspannen zur Vernichtung des Gegners. Die friedliche Bevölkerung kann 
die heimischen Fluren nicht mit der Waffe in der Hand schützen. Wir können den 
modernen Vandalen aber auch ohne Waffen mehr schaden. 
Die Heerführer Wilhelms, die sich zum Einbruch in die fruchtbaren Gouvernements 
Rußlands rüsten, gedenken ungeheure Vorräte, Nahrungsmittel, Futtermittel und Roh 
stoffe für Artilleriematerial, an denen sie schon Mangel leiden, einzuheimsen. Hier ist 
die Achillesferse unseres Feindes, hierhin müssen wir russischen Bürger unsere Schläge 
richten. Wir haben es in der Hand, die Absichten des Gegners zu durchkreuzen, jeder 
russische Bürger, der aus den von dem feindlichen Einsall bedrohten Gebieten ins Innere 
Rußlands übersiedelt, erfüllt eine Ehrenpflicht gegen das Vaterland, wenn er alles das 
vernichtet, woran er in der Erwartung langer Friedensjahre gearbeitet hat. Wir dürfen 
nichts für die Deutschen zurücklassen, was ihren Truppen nützen könnte. Unsere Nach 
huten müssen, den Abzug der Hauptkräste deckend, nur die nackte, des wogenden Meeres 
der grünen Fluren beraubte Erde zurücklassen. Privatinteressen darf man jetzt nicht 
schonen; später wird alles hundertfach ersetzt werden. Jetzt darf uns nur das Bewußt 
sein von der Notwendigkeit beherrschen, den verachteten Feind zu zerdrücken, der jedes 
Recht auf Achtung und Vertrauen verloren hat.* 
Wie diese Verfügungen verwirklicht wurden, zeigt eine Bekanntmachung des Vorstandes 
des Sokaler Bezirks vom 11./24. Juli 1915, in der es heißt: Alle Einwohner in Stadt 
und Land find zur Auswanderung in die besonders bezeichneten Gebiete des Gouvernements 
Wolhynien verpflichtet. Alle landwirtschaftlichen Geräte, Bauernwagen und alle beweg 
lichen Sachen, die bei der Auswanderung nicht mitgenommen oder transportiert werden 
können, müssen vernichtet werden. Ebenso sind alle Vorräte an Brot, Getreide und Mehl, 
die von der Bevölkerung nicht mitgenommen werden können, zu verbrennen. Die Be 
völkerung der auswandernden Gemeinden hat sich den Anordnungen des bevollmächtigten 
Gemeindevorstandes zu fügen. Dieser ist verpflichtet, ein Familienregister, enthaltend alle 
Personen, Kinder und Erwachsene, aufzustellen, zwecks richtiger Verteilung der staatlichen 
Unterstützung. Das Bürgermeisteramt eines jeden Ortes hat den Tag des Abmarsches 
der Einwohner bekannt zu geben. Pferde und Vieh müssen mitgenommen werden. Sollte 
jemand zur Mitnahme seines Viehes nicht imstande sein, so hat er es anderen Auswan 
derern zu übergeben. Wer sich weigert auszuwandern, wird mit allen Mitteln zur Aus 
wanderung gezwungen. Die Auswanderer haben sich unbedingt und ausreichend mit 
Lebensmitteln zu versehen."
	        
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