Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

170 Dre Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl 
jeden nur irgend benutzbaren Weg, jede Fährte, die ostwärts führte, vorwärts drängten: 
alle erschienen wie durchtränkt von dem Gefühl, daß nichts ihnen Halt gebieten könne. 
Unter all den Tausenden von Soldaten, an denen wir auf ihrem Vormarsch durch das 
offene Gelände vorüberkamen, gewahrten wir nie einen, der nachhinkte; während dieses 
ganzen Vormarsches sah ich niemals einen Nachzügler. Sogar die Kavallerie- und 
Feldartilleriepferde sowie die Proviantkolonnen schienen von dem allgemeinen Geiste be 
seelt zu sein. 
Nicht minder großen Eindruck auf mich machte der Geist der Zufriedenheit unter den 
polnischen Bauern in diesem weiten Gebiete zwischen Piliza und Weichsel, durch das 
der Heereszug ging. Gar viele betrübliche Schilderungen hatte ich vernommen von der 
Verwüstung der Ernten in dieser Gegend durch die zurückweichenden Russen — und 
was schaute ich statt solchen Bildes der Zerstörung? An vielen Orten brachten die Bauern 
mit Hilfe deutscher Krieger wunderbar reiche Ernten in die Scheunen ein. Nur an einigen 
wenigen Stellen — dicht bei den erst kürzlich geräumten russischen Hauptstellungen, am 
äußersten Rande der Heerstraße — lagen die Ernten niedergestampft oder sonstwie ver 
nichtet am Boden. 
Eine ebenso angenehme Enttäuschung bot uns der vortreffliche Zustand der Chausseen 
und Straßen, besonders der nach Warschau führenden. Dank der Ausbesserung durch 
deutsche Ingenieure zeigten sie sämtlich ein erstklassiges Aussehen. So läuft jetzt eine 
prächtig macadamisierte Chaussee die ganze Wegstrecke von Kalisch an der deutschen 
Grenze bis Blonie gerade gegenüber von Warschau; sie ist besser als irgend eine Straße, 
die ich kenne sowohl in Mexiko wie in ganz Mittelamerika. Für diesen Bezirk unmit 
telbar westlich Warschaus haben — so erzählte man mir — die deutschen Militär 
behörden im Laufe der letzten Monate, behufs Wege- und Eisenbahnausbefferungs- 
arbeiten nicht weniger denn 30000000 Mark aufgewandt. Sogar während dieses 
letzten Vorrückens aus Warschau bemerkten wir Jngenieurtruppen, polnische Bauern 
und russische Kriegsgefangene zu Tausenden, die mit Hunderten von Dampfwalzen und 
Sprengwagen eifrigst an der Wiederherstellung der Straßen arbeiteten. 
Diese charakteristische deutsche Gründlichkeit in der Vorbereitungsarbeit trug — meines 
Erachtens — ebenso viel bei zum Falle Warschaus wie die tiefdurchdachte Feldherrn 
kunst des Kriegsplanes sowie der glänzende Geist der deutschen und österreichisch-unga 
rischen Heere, die an dem konzentrischen Vorrücken sich beteiligten. Als meine Reise 
genossen und ich in Blonie Warschau den Rücken kehrten, hatten wir alle genug ge 
schaut, um zu begreifen, daß der Fall Warschaus nur noch wenige Tage oder Stunden 
auf sich warten lassen konnte." 
Am 3. August 1915 mußten die Russen aus der Stellung Leszno—Blonie—Nadarzyn— 
Piaseczno in die äußere Fortslinie von Warschau zurückweichen; zwei Tage lang haben dann 
die deutschen Geschütze, nach einem Bericht der „Kölnischen Zeitung", ohne Unterbrechung 
vor den Festungswerken ihre dumpftönende eherne Sprache geredet, da die Ruffen es 
nochmals versuchten, den deutschen Vormarsch auszuhalten. Noch in der Nacht vom 
4. auf den 5. August dauerte die gesteigerte heftige Beschießung mit der ganzen Artillerie 
des Feldheeres an. Jedoch schon um 1 Uhr räumten die Russen das von den Bayern 
bedrängte Fort 6 der äußeren Linie von Warschau. Bald darauf griffen Württemberger, 
Sachsen und Preußen die weiteren acht Werke an. Vor den Bastionen von Werk 7,7 a, 
8 und 9 kämpften preußische Regimenter, die sich, wie die Sachsen vor Werk 5, schon 
tags zuvor bis an die Drahtverhaue herangearbeitet hatten. Ueber die nassen Gräben 
stürmend, drängten sie nun vor. Es entspannen sich aus der ganzen westlichen Angriffs- 
front heftige Kämpfe. Die deutschen Truppen erlitten keine übermäßigen Verluste, 
gleichwohl kann von einer fteiwilligen Aufgabe Warschaus keine Rede sein. Die Ruffen
	        
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