Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Von der deutschen Verwaltung in Belgien 269 
verhaftet werden konnte. Wohl aber saß seine Frau, die Prinzessin Maria de Croy, 
auf der Anklagebank. Neben dem Prinzen war die Vorsteherin eines medizinischen In 
stituts in Brüssel, eine Engländerin Miß Edith Cavell, die Hauptseele des Unternehmens. 
Versprengte englische und französische Soldaten, die in der Provinz untergebracht waren, 
namentlich in der Provinz Hennegau, wurden durch die Agenten des Prinzenpaares, die 
in der französischen Gräfin Jeanne de Belleville aus Montignies eine rührige Gehilfin 
gesunden hatten, über die Grenze geschasst. Man hatte richtige Etappen organisiert und 
durch zuverlässige Führer die Militärpflichtigen oder die Soldaten, darunter auch eng 
lische und französische Offiziere, von Etappe zu Etappe begleiten lassen, um sie dann in 
der Zentrale in Brüssel unterzubringen, wo sie solange blieben, bis die Luft rein war, 
um sie über die holländische Grenze spedieren zu können. Die Zentrale war in dem 
Hause der englischen Klinik der Miß Cavell untergebracht. Von dort wurden die 
Rekruten zu nachtschlafender Zeit an die Trambahn begleitet, und zwar im Herzen 
Brüssels, an der Kirche St. Maria in der Rue Royale, und von der Endstation einer 
Trambahnlinie durch die Schmalspurbahn bis an die holländische Grenze. 
Während der Verhandlungen, die im Senatssaale stattfanden, machten die Angeklagten 
fast sämtlich den Eindruck verschlagener Personen, die mit gutem Geschick die Naiven 
und Unschuldigen spielten, und es war sicher keine Zufälligkeit, daß zwei Drittel der An 
geklagten dem weiblichen Geschlechte angehörten. Die Leiter derartiger gefährlicher Unter 
nehmungen wissen ganz genau, daß die deutsche Verwaltung keinerlei Kontrolle über die 
belgischen Einwohner ausübt, und daß die Frauen, weil sie doch mit dem Kriegshand 
werk absolut nichts zu tun haben, am allerwenigsten beteiligt erscheinen. Die Engländerin 
Edith Cavell erklärte, sie habe als Engländerin geglaubt, ihrem Vaterlande einen Dienst 
erweisen zu sollen, indem sie den gefährdeten Soldaten und Rekruten in ihrem Hause 
Unterkunft gab. Daß sie bei Ueberfüllung ihres Instituts andere Leute ins Verderben 
stürzte, indem sie diese veranlaßte, ebenfalls Flüchtlinge zu beherbergen, hat sie natürlich 
geleugnet. Ihr Hauptagent war der Architekt Philipp Bancq, der frei und unumwunden 
bei seiner Vernehmung erklärte, er sei ein guter belgischer Patriot und habe geglaubt, 
sich für sein Vaterland opfern zu müssen. Seinen Unteragenten gegenüber hatte er sich 
das Pseudonym „Monsieur Fromage" (Herr Käse) beigelegt. Ein Advokat in der Provinz, 
der zu Zuchthaus verurteilt wurde, hat zugegeben, daß er die Identitätskarten für die 
reisenden Militärpflichtigen fälschte und Stempel anfertigen ließ, ans denen Kom 
munen angegeben waren, die überhaupt nicht existieren. Ein Mineningenieur, der eben 
falls zu Zuchthaus verurteilt wurde, hat das Gleiche getan. Er glaubte es unternehmen 
zu dürfen, weil sein Freund, der Advokat, es auch machte. Ein Apotheker in Brüssel, 
der Monate hindurch Heerespflichtige bei sich versteckt hielt, berief sich auf sein gutes 
Herz: er und seine Frau könnten niemandem etwas abschlagen. Die französische Gräfin 
de Belleville hat zugestanden, daß sie einem französischen Abbe, der sich noch rechtzeitig 
in Sicherheit brachte, stets über ihre Reisen Bericht erstattete. Sie hat sich mit ihm 
jedesmal, wenn sie in Brüssel anwesend war, in einem anderen Kaffeehaus getroffen, 
will aber glauben machen, daß der Priester sich nur aus patriotischem Interesse für ihre 
^Geschäftsreisen* interessiert habe. Auch der Advokat gibt zu, daß er seine Schützlinge 
zum Teil in einem Kloster versteckt gehalten habe. Aus allem gewann man den Ein 
druck, eine wohlorganisierte Gesellschaft vor sich zu haben, die Monate hindurch regel 
recht das Anwerbungsgeschäft betrieb." 
Fünf Personen wurden zum Tode, fünf zu Zuchthaus, 17 weitere zu Zuchthaus bzw. 
zu Gefängnis verurteilt, acht Beschuldigte wurden freigesprochen. Das Todesurteil an 
Miß Cavell, die zugab, daß sie innerhalb von neun Monaten 250 Mann, also eine 
kriegsstarke Kompanie über die Grenze geschafft habe, und an einer der belgischen Angeklagten
	        
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