Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

170 Die Ereignisse an der West front im dritten Kriegshalbjahr 
Den vielleicht mannigfaltigsten Ausbau sah ich im Gebiete einer anderen Division. 
Da ging der Weg durch die Ruinen eines völlig zerschossenen Dorfes, immer mitten 
durch die Wände durch wie in belgischen Dörfern, aber für den Notfall konnte die ganze 
Mannschaft mit wenigen Schritten die Stollen im Berghange erreichen, und diese Fels 
verließe hatten nicht nur nach beiden Seiten die nötige Verbindung, sondern auch nach 
oben Luft und Licht und die Möglichkeit der Beobachtung. Noch ragten auf den Dorf 
straßen gewaltige Barrikaden empor, aus Stroh, Dünger, Brettern, zerbrochenem Haus 
rat aufgetürmt, mit ganzen Familienbetten drein verstaut, lauter schnelle Notbauten aus 
dem Vorjahre. Weiter im Walde finden wir Maschinengewehre in tadellos eingedeckten 
Unterständen, auch der Stand des Artilleriebeobachters ist gut geschützt. Die Stellung 
mit ihren verschiedenen Linien ist das reinste Höhlensystem geworden, in dem sich zurecht 
zufinden eine Kunst scheint. Doch sorgen überall Tafeln mit leuchtfarbener Schrift für 
schnelle Orientierung auch im Dunkeln. Im Trommelfeuer nützen freilich solche Hilfs 
mittel auch nicht viel, da muß der Mann die Stellung klar im Kopfe haben. Auch dies 
Grabensystem bestätigte aufs neue die allgemeine Entwicklung: Festungskrieg, Vauban 
in moderner Taschenausgabe für Schützengräben. Sind das noch Truppen, die sich, in 
Schützenlinien ausgeschwärmt, eingegraben haben? Oder sind es die vorgeschobenen Stel 
lungen einer Lagerfestung großen Stiles? Die Vergangenheit, die ja in diesem Kriege 
z. B. mit Handgranaten und kurzen Mörsern militärisch auferstanden ist, kennt solche 
Kriegslager zur Genüge. Ich mußte an Bunzelwitz denken. Aber freilich: welche 
unmäßigen Maße, welche, enormen Zahlen, welch ein Verbrauch an Kraft und Material 
heute gegen damals, wo Friedrichs Armee die Stärke eines schwachen Korps von heute 
kaum überschritt. 
Die Versorgung all dieser Menschenmassen, ihre Versorgung in jedem Sinne ist eine 
Aufgabe, die ewig dieselbe bleibt, an der Maas wie an der Memel, in Flandern 
wie in der Champagne. Aber die Mittel wechseln, und mit den vorhandenen Mitteln 
das denkbar Beste zu schaffen, ist der heilige Ehrgeiz der Exzellenz wie des einfachen 
Soldaten. Man will es wenigstens gemütlich haben, wenn man schon sonst nicht viel 
hat. Die Dörfer werden zwar hie und da beschossen, in manchen steht kaum mehr ein 
einziges Haus. Aber mitten in den Ruinen blüht das neue Leben. Wo eine Wand 
noch standhält oder gar ihrer zwei einen geschützten Winkel bilden, da ist alsbald ein 
Dach errichtet, ein Raum entsteht, ein Feuer brennt am Herde. Man tritt in eine 
Brandruine ein, steht sich plötzlich vor einer richtigen Tür, sie öffnet sich, und man be 
tritt einen durchaus modern ausgestatteten Wohnraum, der in direkter Linie von den 
deutschen Werkstätten abzustammen scheint. 
Ueberhaupt die modernen Zweckformen im Kriege — das ist ein Kapitel für sich, 
und, meinen Eindrücken nach, ein überwiegend erfreuliches. Was für reizende und 
originell erdachte Barackenbauten sind in den Waldlagern entstanden! Manche aus 
dem Knüppelstil der Holzlauben zu kleinen Häuschen entwickelt, manche sogar richtige 
Sommervillen in anmutiger Gliederung. Und das Aeußere ist noch das mindeste, an 
das Geschmack gewandt wird. Manche Jnnenräume sind bis in die Farbe der Vor 
hänge und die Verteilung des Wandschmucks hinein mit einer ordentlichen Zärtlichkeit 
erdacht. Die Sehnsucht nach dem Ewig-Weiblichen äußert sich da auf eine verstohlene 
aber verständliche Art. Es soll ebenso nett beim Herrn Hauptmann aussehen, wie 
wenn die Frau Hauptmann selber da wäre. . . . Ein Bataillonssührer, dessen Stel 
lung etwas unterhalb der Höhenlinie lag, hatte sich eine wahre Höhlenburg erbaut, 
zyklopenhaft nach außen, im Innern aber war der Wohnraum aufs geschmackvollste 
mit Porträtsilhouetten belebt, die zwischen schwarzen Pappstreifen auf der gelben Kehr 
seite einer Tapete vortrefflich wirkten. Es waren sämtliche Offiziere des Bataillons,
	        
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