Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Kämpfe an der Westfront nach der franz.-engl. Herbstoffensive bis zur Verdun-Schlacht 161 
Das Explosionsunglück und die Beschießung von Lille. 
Am 12. Januar 1916 
Am 11. Januar 1916 ist das Munitionslager eines deutschen Pionierparks in der 
Umwallung der Festung Lille in die Luft geflogen, nicht als Folge eines verbrecherischen 
Anschlags von englischer Seite, wie die deutsche Oberste Heeresleitung vermutete (vgl. 
S. 136), sondern, wie der „Matin" ausdrücklich betonte, als Tat der „Flugzeuge der 
Verbündeten", womit also die Mitwirkung französischer Bomben bei der Hinmetzelung 
französischer Bürger ausdrücklich hervorgehoben wird. 
Den Verlauf der Katastrophe schildert Friedel Merzenich in der „Liller Kriegszeitung" 
(20.1. 16) überaus anschaulich folgendermaßen: „Ein furchtbarer Schlag durchreißt jäh 
die Stille der Nacht. Der Boden bebt, als habe sich ein Riese zornig gereckt. Das 
Haus zittert. Das Bett, in dem ich liege, schwankt. Die Stühle poltern zu Boden. 
Die großen Fensterscheiben fallen mit grellem Klirren ins Zimmer. Die Türe fliegt weit 
aus. Ein scharfer Luftzug fegt über mich hin. Ich springe entsetzt aus. Auf der Straße 
verängstigtes Schreien, ein paar wahnsinnige Rufe. Der Höllenlärm des Fensterklirrens, 
Krachens, Tobens, Prasselns hält an. Ich erwarte, daß das Haus im nächsten Augen 
blick über mir zusammenstürzt, und laufe die Treppe rasch hinunter. Im Flur stoße 
ich mit den Hausleuten zusammen, „tzusl malheur!“ jammert die Haushälterin, „quel 
malheur, oh, le bombardement recommence!“ Und dann folgt eine kräftige Verwün 
schung, die den Engländern gilt, — denn die Franzosen werden doch ihre eigenen Lands- 
leute nicht bombardieren! Wir tappen uns die Treppen hinunter. Alle Türen stehen 
offen, sogar das schwere Haustor ist durch den ungeheuren Luftdruck gesprengt. Ich gehe 
mit zur Küche. Die Haushälterin sucht durch zwei Gläschen Kognak ihrem Schrecken 
beizukommen. Die Wirkung ist denn auch überraschend, und nun kocht sie schnell einen 
starken Kaffee. Ihr geschäftiges Hantieren hilft etwas über die nervöse Spannung hin 
weg, mit der wir die nächste schwere Granate erwarten. Die Frau erzählt von dem 
ersten Bombardement, das sie mitgemacht; allerdings, einen so entsetzlichen Krach habe 
sie damals nicht gehört . . . 
Der Morgen dämmert herauf, doch alles bleibt ruhig. Nur von der Straße hin und 
wieder das Klirren fallender Fensterscheiben. Um sechs Uhr stürzt eine ältere Frau 
ins Haus. Laut weinend fällt sie der Haushälterin um den Hals. „Marie, dein Häus 
chen steht nicht mehr! Alles zertrümmert! Der ganze Stadtteil ein Schutthaufen . . ." 
Nachbarn kommen. Allerlei Gerüchte tauchen auf. Ein Munitionslager in einer 
Kasematte sei durch ein noch unaufgeklärtes Verbrechen explodiert. 
Ueberall Gruppen von Zivilisten, meist Frauen, die über das Unglück sprechen. Große 
Trupps von Pionieren und Armierungssoldaten, mit Hacke, Spaten, Schaufeln ausge 
rüstet, ziehen in südöstlicher Richtung durch die Straßen. Lastautos, Packwagen, Sani 
tätswagen nehmen dieselbe Richtung . . . 
Auf der Fahrt nach der Unglücksstätte mehren sich die Zeichen der Zerstörung. 
Mauerstücke sind über die Dächer geflogen und haben sich zwei Meter tief ins Pflaster 
eingebohrt. Um 4.25 Uhr ist der furchtbare Donnerschlag erfolgt. Schon vor 5 Uhr 
waren die ersten Rettungszüge und Arbeitskommandos an Ort und Stelle. Im Lause 
des Tages sind von den Deutschen 4000 Arbeiter zur Aufräumungsarbeit gestellt wor 
den, 120 Arbeitswagen sorgen für den Abtransport der Habseligkeiten der obdachlos 
gewordenen Franzosen. Es ist ein Fabrikviertel, meist wohnt armes Volk in dem Ge 
wirr kleiner Gassen. Die Häuser sind billig und schlecht gebaut. Keine Klammern, 
kein Mörtel. Lose zusammengefügt und gleich Kartenhäuschen jetzt umgeblasen. Not 
dürftig gekleidet irren noch allerlei Gestalten hin und her. Mairiebeamte in ihrer kurzen 
Toga stehen spuckend da und sehen der flinken Arbeit unserer Soldaten erstaunt zu. 
»öll-rkri-g. X. 11
	        
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