Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

102 Die Ereignisse an der Westfront im dritten Kriegshalbjahr 
Denn jetzt — das wußte jeder — kamen von drüben ein paar leichte Schleuderminen 
angefaucht oder gar Handgranaten aus dem feindlichen Sappenkops. Erlischt die Kugel 
nicht bald? Die Zeit ist knapp, die Annäherungsgräben müssen ausgebessert, Munition 
und Material muß vorgeschafft werden. Schon dämmert es im Osten. In feuchten 
kalten Wogen zieht der Nebel über die Höhe, von Pulvergasen und Verwesung schwer. 
Ein paar Tage vergehen so, in unruhiger Arbeit. Schon wird das unablässige 
Störungsseuer, wird der Regen der Schrapnelle etwas Gewohntes. Da, am 10. Oktober 
war's, beginnt in den ersten Nachmittagsstunden das Feuer an zu trommeln. 
Granaten jeden Kalibers heulen heran. In die erste, die zweite Linie und in die 
Laufgräben schlagen sie ein. Haushoch stäubt der Lehm in braunen Fontänen empor, 
die ganze Vimy-Höhe ist eine einzige mißfarbene Erdwolke. Die Leute kauern in den 
notdürftig gezimmerten Unterständen. Sie wissen ja, was kommen muß. Sie wünschen 
es herbei. Stunde auf Stunde verrinnt — „Kreuzteifi! kimmt er denn no net bald 
füri, der Sauhund, der drecket?" Nein, er kommt noch nicht. Er schießt wie wild bis 
in den Abend hinein, der Franzos. Aber anzugreifen wagt er noch nicht. Die Posten, 
die draußen in dem Höllenstrudel aushalten, neben den Unterständen, in den Sappen 
köpfen, hinter ihre Stahlschilde geduckt, hören wohl von drüben das bekannte Sturm 
kommando gellen: „tont le monde en avant!“ Aber sie stürmen nicht, heut noch nicht. 
Die Stellung ist noch nicht reif. 
Die Dunkelheit bricht ein, das Trommelfeuer sänftigt sich zum Streufeuer. Es ist 
immer noch unangenehm genug, aber man kann sich doch rühren, die Zerstörung draußen 
untersuchen. Ja, da schauts bös aus. Die Gräben sind zur Hälfte eingeebnet, die 
Unterstände zum Teil abgedeckt und verschüttet. Die Kameraden müssen ausgegraben, 
die Gräben erneuert werden. Alles arbeitet fieberhaft, Offiziere und Mannschaften. 
Mühsam kommt durch die unterbrochenen Laufgräben das Essen heran. Wenns nur 
auch was zum Trinken gäb'! Gleich wär der „Hamur" ein andrer. Aber auch so ist 
er noch da. »Gell, dös hast eh' g'spannt, daß d' Bayern do sän? Geh her, wenn d' 
a Schneid hast!" Einer ist aus den Grabenrand gesprungen, ruft's hinüber, schwingt 
sein Gewehr. Pepperepepp! macht's drüben, und die Kugeln pfeifen. Altbayrisch ver 
steht der Franzos nicht besser. 
Am andern Morgen ist die Stellung instandgesetzt. Geschlafen hat keiner, und jetzt 
schläft erst recht niemand. Um 7 Uhr trommelt der Feind abermals aus allen Ge 
schützen, stärker noch als gestern. Ein Höllenlärm, kaum daß man noch die einzelnen 
Schüsse unterscheiden kann. Einer versucht's, ein Pionier, der sich drauf versteht, bringt 
es bis auf 47 Schuß in der halben Minute, dann gibt er's auf. Unmöglich, weiter zu 
zählen. Und letzten Endes auch zwecklos. 
So wird es Mittag. Hört er noch nicht bald auf? Fort und fort das alte dröhnende 
Lied. Die Erde bebt, die Kampfeswolke ballt sich aus, höher und höher schwillt und 
wächst sie, aus Kilometer weit überschattet sie das grausam durchfurchte, trostlos zer 
schlagene Land. Die Führer wiederholen ihre Weisungen, jede Gruppe weiß ihren Platz, 
die Leute brennen vor Ungeduld und Kampsbegier. Sie freuen sich auf's Raufen wie 
die Buben. Aber der Franzose trommelt weiter. Er gibt schon mehr Schützenfeuer 
als Artilleriefeuer. Noch arbeitet das Telephon leidlich, Unterbrechungen sind immer 
bald geflickt. Die Posten draußen wollen garnicht abgelöst sein, sie halten aus bis zu 
zehn Stunden; sie spitzen durch Qualm und Brand hinüber zum Feinde, wo die Gräben 
sich mit Sturmkolonnen füllen. 
Bis um 5 Uhr nachmittags plötzlich das gesamte Feuer auf der ersten Linie aus 
setzt. Alle Granaten sausen hinterwärts. Sperrfeuer! Kein Mann soll zurück! Will 
es einer?
	        
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