Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

96 Die Ereignisse an der We st front im dritten Kriegshalbjahr 
Auch der Generalissimus Joffre hielt es für nötig der Armee ausdrücklich zu versichern, 
daß der Erfolg der Septemberschlacht in der Champagne seinen Erwartungen entsprochen 
habe; er erließ am 3. Oktober 1915 folgenden Tagesbefehl: „Der kommandierende 
General spricht den seinem Befehl unterstellten Truppen seine tiefe Zufriedenheit über 
die bis zum heutigen Tage erlangten Kampfergebnisfe aus: 25 000 Gefangene, 150 Ge 
schütze und ein bis jetzt nicht übersehbares Kriegsmaterial sind die Trophäen des Sieges, 
von dem Europa widerhallt. Keines der gebrachten Opfer war vergeblich. Alle haben 
es verstanden, an der gemeinsamen Aufgabe mitzuwirken. Die Gegenwart ist uns ein 
sicheres Unterpfand für die Zukunft. Der Generalissimus ist stolz darauf, die schönsten 
Truppen zu kommandieren, die Frankreich jemals besessen hat." 
Der Zar und König Georg von England sandten Poincare am 30. September 
und 2. Oktober 1915 gleichfalls Telegramme, in denen sie der französischen Armee An 
erkennung und der französischen Nation Glück zu dem großen Erfolge wünschten. Poincare 
antwortete, indem er König Georg gegenüber auf „das vertrauensvolle Zusammenwirken 
der verbündeten Truppen und die glänzende Offensive des Marschalls French" hinwies 
und den Zaren zu „der prächtigen Tapferkeit beglückwünschte, die die russischen Truppen 
täglich bezeugen und die die ganze Welt bewundert." 
Das Interessante an der französischen Ausfassung der Schlacht, wie sie in allen Be 
richten wiederkehrt, ist ihre Ursache: der Glaube, die deutsche Front wanke, der Be 
wegungskrieg, zu dem die Armeen der Verbündeten die Initiative ergriffen hätten, beginne. 
„Das war," so schreibt die „Frankfurter Zeitung" (26. XI. 1915), „der große Irrtum 
des französischen Soldaten, vom gemeinen Mann, bis hinaus zur Generalität, ein 
Irrtum, der vielen Tausenden von Menschen, die blind gegen die unversehrte zweite 
deutsche Linie angerannt sind, das Leben gekostet hat. Und nach den eigenen Angaben 
der Franzosen, die ganz übereinstimmen mit dem Bild, das man aus deutschen Be 
richten gewinnen kann, ist an dieser Verkennung der Kriegslage, die auch zu den 
Kavallerieattacken geführt hat, der große Angriff gescheitert. Kaum hatte der Feind 
zwei bis drei Kilometer an den Einbruchsstellen durchschritten, da wurden seine Sturm 
kolonnen vor den Hindernissen der zweiten deutschen Linie in ganzen Reihen vom deutschen 
Feuer niedergemäht; der Angriff stockte und brach zusammen. 
Aber woher kam der Irrtum? Warum fühlte man sich plötzlich im Bewegungskrieg? 
Als die deutschen Truppen ihre verwüsteten Stellungen verlaffen mußten, als die Preisgabe 
der ersten Linie nach gewaltigem Artilleriefeuer und schwerem Verlust nötig war, geriet 
in jenem Abschnitt allerdings die deutsche Front, oder besser die erste Linie der deutschen 
Front, und damit zugleich die gesamte nachdrängende französische Front jenes Abschnitts 
bis in die hinteren Kolonnen samt Artillerie, Munitionszügen und Staffeln in Bewegung. 
Ein Heer, das ein Jahr lang fast unbeweglich gelegen hatte, zog seinen ganzen Troß, 
der hinter der Feuerlinie stand, um ein paar tausend Meter nach vorne, während die 
Deutschen Mannschaft, Gerät und Waffen zurück zur zweiten Stellung schaffen mußten. 
So mag es in der Tat geschehen sein, daß für eine kurze Spanne Zeit das tote Feld 
des Stellungskrieges mächtig belebt war, nicht nur von vorrückenden Schützenlinien und 
vorgezogenen Geschützen, sondern von Menschen, Tieren und Wagen mancherlei Art. 
An diesem Gedanken mag sich ein Phantast berauschen. Aber ist es für einen kühl 
Urteilenden nicht absurd, wenn hier von einem Bewegungskrieg gesprochen wird und von 
einer gewonnenen Feldschlacht, während sich nichts anderes ereignet hat, als daß lang 
sam und in zähem Kampf die erste deutsche Verteidigungslinie aus die zweite, dicht da 
hinter liegende zurückgenommen, oder sagen wir auch ruhig: zurückgedrängt worden ist? 
Auch für die offene Feldschlacht wird die Zeit wieder kommen, aber wir denken, sie 
möchte ein anderes Bild zeigen, als die Septembertage 1915 in der Champagne."
	        
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