Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Die Kämpfe an der Westfront während der großen englisch-französischen Herbstoffenstve 91 
garde der durchbrechenden Armee voraussprengen sollten. Gegen Abend endlich 
kamen Franzosen an; keine elegante Kavallerie (die lag zusammengeschossen auf der 
Straße bei Souain), sondern blaue Infanteristen, mit ihren flachen Stahlhelmen, 
einer Herde wandernder Schildkröten, ähnlich. Aber die unvermeidlichen Feldgrauen 
kamen gleichzeitig, und deutlich blitzten ihre Bajonette, während die Franzosen ihre 
Hände in den Taschen ihrer langen Mäntel verbargen, sie hatten keine Waffen mehr 
zu tragen. Die erwartungsvollen Zivilsranzosen erbleichten, und ihre Gesichter wurden 
länger, je länger der Durchzug der Gefangenen dauerte. Diese hielten an und mußten 
warten, bis ihre Namen aufgeschrieben waren. Einige waren tödlich erschöpft und 
niedergeschlagen, blickten traurig die Häuser entlang und die Bewohner an, mit denen 
sie nicht sprechen durften, sie fragten bescheiden nach Essen und Wasser. Andere aber 
waren aufgeräumt und durchaus nicht schüchtern. Ein großer Sergeant mit schwarzem 
Schnurrbart und Käppi, den schweren Helm hatte er längst fortgeworfen, gab unverhohlen 
seiner Freude Ausdruck, auf gute Art die langweilige Sache los zu sein und sein Leben 
vor deutschen Granaten sicher zu wissen. Sein Nebenmann, Offizieraspirant, Student 
der Philosophie, bemühte sich, den schlechten Eindruck zu verwischen. Er sprach fließend 
Deutsch und meinte, daß Frankreich sehr wohl gerüstet und zu großen Unternehmen 
noch immer bereit sei, vorläufig sehe er keinen Grund, am Erfolg zu zweifeln. Aber 
er stand einzig da mit seiner Meinung und seinem guten Willen. Die meisten hatten 
keine Lust, sich irgendwelchen Zwang anzutun und fluchten: „Die entsetzlichen Granaten! 
Die furchtbare Schlächterei! Diese gräßlich öde Gegend!" Doch ihr äußeres Ansehen 
war im allgemeinen gut. Offenbar waren es Elitetruppen, die zum ersten Angriff ge 
führt worden waren. Biele Nordländer, Bretonen, Normannen, blond-, auch rotbärtig. 
Einem war sein Schildkrötenhelm durchschossen, daß die Kugel ihm das Haar gestreift. 
Der feldgraue Schütze stand gleich daneben. „Sie hätten vier Zoll tiefer halten sollen", 
fragte ich versuchsweise. „O, lassen Sie, es ist gut so, sehen Sie wie der arme Kerl sich freut, 
noch zu leben." 
Den deutschen Begleitmannschaften, die denselben Kampf wie die Franzosen und dazu 
noch 70 stündiges Trommelfeuer hinter sich hatten, war keine Erschöpfung anzusehen. Schmutz 
bespritzt, aber unerschüttert in Geist und Haltung erzählten sie lachend ihre Erlebnisse. Wenige 
Mann hatten ganze Mengen Franzosen gefangen. Zwei Pioniere 48 Mann, ein Telepho 
nist 22, sogar waffenlose Schipper hatten Gefangene gemacht. 
Die acht französischen Offiziere des ersten Trupps kamen ins Haus, sich etwas aus 
zuruhen. Sie unterhielten sich gern und lebhaft. Der Angriff sei glänzend vor 
bereitet gewesen, man habe geglaubt, kilometerweit keinen lebenden Menschen mehr 
zu treffen, habe die vorderen Gräben einfach übersprungen — chic — und plötzlich 
in der unbekannten Gegend sei man verloren gewesen. Hinter sich Granaten, seit 
wärts Granaten, Bajonette — was konnten sie tun? Das war eine Entschuldigung. 
„Werden wir unsern Familien schreiben können? Werden wir gut behandelt werden?" 
ftagten sie dann. „Aber natürlich, die Deutschen find keine Barbaren, keine Turkos, 
meine Herren. Wie ist es, haben sie solch Gesindel auch jetzt wieder bei sich? „Nein, 
nein, wir haben keine gesehen." Das klang etwas befangen. Augenscheinlich war es 
ihnen unangenehm, von diesen farbigen Kameraden zu reden. Unterdessen kamen immer mehr 
Gefangene, die letzten erhielten Nachtquartier in der Kirche, fielen auf die Bänke und 
schliefen sofort ein. Aber einzelne konnten trotz Uebermüdung nicht schlafen, blickten 
unruhig in das unergründliche Dunkel der Kirche, das ihnen wohl ein Gleichnis ihrer 
eigenen Zukunft schien, und sahen die Heiligenbilder an, die stumm aus diese müdge- 
hetzten französischen Krieger herabschauten. Die Einwohner aber waren am andern 
Morgen wieder umgewandelt, sie hatten die bittere Pille verschluckt und lächelten wieder."
	        
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