Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Die Kämpfe an der Westfront während der großen englisch-französischen Herbstoffenstve 73 
köpfe aus. Und dann kommen Bergschotten in ihren grellen Halbstrümpfen und karierten 
Röckchen, über die sie einen lehmbraunen Vorhang gebunden haben. Sie sind in dieser 
zusammengewürfelten Völkerschau eine eigene Rasse, die mit dem Auswurf der englischen 
Hasenspelunken weniger verwandt zu sein scheint als mit einzelnen Hindus, die hinter 
ihnen her kommen. Meist untersetzte, ältere Männer, viele todmüde und alle dick mit 
Schützengrabenlehm überzogen. Und nun, nachdem noch ein Bündel Schwarze und Inder 
vorbergelaufen sind, kommen die Franzosen, Infanterie, Jäger zu Fuß, Artillerie. Alle 
in den feldgrauen, viele in sehr verschlissenen Uniformen, die meisten mit den neuen 
Stahltöpfen, die ihnen die Köpfe in die Schultern pressen zu wollen scheinen und der 
Schar den Eindruck eines Haufens wandelnder Pilze geben. Das sind die Befreier, die 
man mit Blumenkränzen zu empfangen gedachte, als das Tag und Nacht fortgesetzte 
Trommelfeuer die Liller auspeitschte und sie ahnen ließ, daß die Engländer und Fran 
zosen den großen Vorstoß vorbereiteten, der sie in einem Tag unerhörten Sieges bis 
nach Lille hatte führen sollen. Keiner ist unter diesen Leuten, der nicht am Morgen 
noch davon geträumt hatte, Lille, die alte, von Ludwig XIV. geraubte Perle Flanderns, 
mit stürmender Hand wiederzugewinnen. Keiner, der nicht fühlte, was für ein Urteil 
der Weltgeschichte nun dieser Einzug in das Quartier des Marschalls Boufflers war. 
Sie wahrten alle die Würde, die Franzosen, das muß man anerkennen, die kleinen, die 
wie Schulknaben aussahen, und die bärtigen Territorials, von denen mancher den Arm 
oder die Stirn im Verband trug und den Zwang einer Kriegsgefangenschaft damit 
adelte. Keiner, der nicht Schritt hielt, keiner, der die Augen neugierig unter der breiten 
Krämpe des Stahltopfes aufhob, um die Lillerinnen wiederzusehen. Sie wahrten die 
Würde, obwohl mancher wie ein Schlafwandler ging, todmüde und zerbrochen, nur vom 
Takt des Marsches der anderen mitgezogen." 
Am Tage darauf besichtigte Kronprinz Rupprecht von Bayern die Gesangenenschar 
aus der Zitadelle von Lille. Langsam ging er durch die bunte Schar, alle scharf 
musternd. „Am Verhalten der Offiziere," erzählt Hermann Katsch in der „Nord 
deutschen Allgemeinen Zeitung" (5. X. 15), „sahen die fremden Wilden deutlich, daß es 
sich um eine hohe Persönlichkeit handelte; nur die Engländer machten einen recht üblen, 
ganz und gar unsoldatischen Eindruck. Sie starrten, die Pfeife im Maul, die Hände 
in der Hose, entweder frech aus den hohen Herrn, oder sie liefen ihm, ohne Notiz zu 
nehmen, über den Weg. Ja, einer versuchte sogar in der unmittelbaren Nähe des 
Prinzen seinen von Lehm starrenden Rock auszuklopfen, so daß eine ekelhaste gelbe 
Wolke über alle hinzog. Der widerwärtige Eindruck des Ganzen veranlaßte den Kron 
prinzen plötzlich zu dem Wort: „Und gegen diese Gesellschaft müssen deutsche Familien 
väter kämpfen!" Aus der Gruppe von Mannschaften, die der Szene in einiger Ent 
fernung beiwohnten, klang ein bekräftigendes Wort; ein Landwehrmann sagte, halb vor 
sich hin: „Ja, — das war freilich notwendig, daß wir in den Krieg zogen, denn, wenn 
die Bande an unsere Frauen und Mädchen gekommen wäre! " Der Kronprinz 
sah sich nach dem Sprecher um, sah ihn ernst an und reichte ihm dann mit einem 
starken Druck die Hand, wortlos. 
Der schlichte, kurze, von Weiterabstehenden kaum beobachtete Vorgang, den der un 
mittelbar neben dem Prinzen stehende Kollege Scheuermann getreulich aufzeichnete, scheint 
mir eine unübertreffliche symbolische Handlung! Was enthält der kurze, winzige Augen 
blick in sich! Eine Rechtfertigung des großen Krieges — die fast wie ein Wunder wirkende 
Einigung aller Teile unseres Volkes in einem starken, alle durchströmenden Gefühle 
— die tiefe Dankbarkeit für die Opfer, die gebracht wurden und zu denen jeder bereit 
ist — den unerschütterlichen Entschluß, diese ganze wilde, buntscheckige Bande von 
unserem Lande fernzuhalten — den Willen zum Sieg und die Sicherheit des Sieges!"
	        
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