Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

72 Die Ereignisse an der We st front im dritten Kriegshalbjahr 
Von den englischen und französischen Gefangenen aus den Kämpfen 
im Artois 
„Die Ausrüstung der Engländer," schreibt der Kriegsberichterstatter Hermann Katsch 
in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" (23. X. 15), „war vorzüglich. Sie hatten 
sehr praktische Rauchhelme aus imprägniertem Segeltuch mit Marienglasbrillen in 
Aluminiumsassung. Zwar waren die Altersstufen sehr verschieden, aber alle Leute in 
zehn- bis zwölfmonatiger Uebungszeit gut durchgebildet. Ihre Tapferkeit war so groß, 
wie man sie nur bei einem Soldaten verlangen kann, und die Verwundeten ertrugen 
ihre Leiden mit unerschütterlicher Selbstbeherrschung. Die riesigen Offiziersverluste reden 
auch von der Mannhaftigkeit der Führer eine deutlich ernste Sprache. Und die Haltung 
der Leute im Gefecht und bei den Wunden wird noch staunenswerter, wenn man hört, 
was Gefangene aussagten, daß sie 48 Stunden vor dem Angriff ihre letzte warme Mahl 
zeit eingenommen hatten. Alle unsere Offiziere, vom Divisionsführer an, betonten immer 
wieder die glänzenden soldatischen Eigenschaften des Gegners, dem sie in erbittertem 
blutigem Ringen Halt geboten hatten. 
Französische Gefangene haben uns voll Unmut erzählt, daß der Engländer mehr Zeit 
zur Körperpflege verwende, als auf die Hilfe, die er den Franzosen im Kampfe zu 
leisten verpflichtet sei. Der Franzose freilich kämpft für sein Vaterland, das er für ver 
loren hält, wenn wir siegen, und insofern steht sein Kampsmut sittlich höher als der des 
um Sold dienenden Engländers. Der aber schlägt sich gut, weil es eben ein Kerl ist. 
Soldatisch stehen sich die Leistungen wohl gleich. Freuen wir uns unserer Deutschen 
aller Stämme und jedes Dienstalters, die auch in schwachen Linien den beiden gefähr 
lichen Gegnern so unübertrefflich, so herrlich mannhaft standhalten." 
Den nächtlichen Einzug des ersten Transports der im Artois gefangenen Eng 
länder und Franzosen in die Stadt Lille schilderte W. Scheuermann in den „Leip 
ziger Neuesten Nachrichten" (2. X. 15) besonders anschaulich. Zwischen dem Spalier 
unbewaffneter Feldgrauer, nach Lanzenreitern, die die Einwohner nach den Neben 
straßen verweisen, und nach einer kleinen Jnsanterieabteilung folgt lautlos die Ge- 
sangenenschar — ein buntes Völkergemisch, umgeben von deutschen Landstürmern mit 
aufgepflanztem Seitengewehr. „Voran farbige Engländer. Lange dürre Wilde mit auf 
gelöst durch die Nacht flatternden Turbanen, zwischen ihnen winziges Gelichter mit mon 
golischen Fratzen, deren Schlitzaugen tückisch und ängstlich durch das Dunkel blitzen. 
Einer hat sich mit einer Frauenschürze geschmückt, ein anderer einen Damenschleier um 
seine Stirn gewunden. Sie stapfen und trippeln, als wären Tod und Teufel hinter 
ihnen, die Straße entlang und mustern schielend die vielen Feldgrauen am Wege. Dann 
kommen Schwarze, große Burschen mit tütenartig auf das Hinterhaupt gestülpten Fezen. 
Blöd und stumpf halten sie das Gesicht nach vorn und recken das Kinn hoch. Sie 
schlendern die Beine im Takt nach dem Marschtritt, den man ihnen als das einzige, 
was sie richtig begriffen hatten, als Kenntnis der europäischen Zivilisation beigebracht 
hat, ehe man ihre Gliedmaßen gegen ein Handgeld kaufte, um die deutschen Barbaren 
zu bekämpfen. Vorüber! Sie verschwinden aus dem engen Lichtkreis der Laterne in 
der großen schwarzen Finsternis, und hinter ihnen kommen Engländer von Kitcheners 
Miüionen-Armee. Ein feingliedriger, blondlockiger Junge fällt mir aus, der seine 
Mütze verloren hat und wie beschämt zwischen einem Troß von Burschen einher 
trottet, unter denen er sich wie ein weißer Rabe abhebt. Denen steht es auf den ge 
dunsenen, grobschlächtigen Gesichtern geschrieben: Schlimme Sorte! Ein paar laufen 
mit den Händen in den Hosentaschen, die Pfeifen zwischen den Zähnen. Die drehen die 
Köpfe nach rechts und links und hinten und rufen sich gegenseitig Bemerkungen zu. 
Dann tauchen zwischen ihnen wieder ein paar stille, geduckte, knabenhafte Schwärmer-
	        
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