Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

58 Die Ereignisse an der We st front im dritten Kriegshalbjahr 
laß mich durchkommen, hilf mir dazu!" . . . Und vom Gebetbuch, vom Gewehr, vom 
toten Kameraden, den man eben rückwärts vorbeischleppt, fliegen die Gedanken nach 
Hause . . noch einmal . . noch einmal . . Wer diese heiligen Gedanken doch alle auf 
lesen und in die Heimat tragen könnte, diesen Reichtum an Liebe und Wünschen . . . 
Ein Einschlag reißt in die Wirklichkeit zurück . . . eine Sturmflut von Erde fliegt über 
den Graben . . . „Gott, sei mir Sünder gnädig!" . . . Und mit diesen Worten sterben 
unsere Helden. 
So harren und warten unsere Tapferen auf den Sturm des Gegners. Die Pfeife oder 
den Zigarrenstummel im Munde. Und wenn das Feuer ausgegangen ist, rauchen sie kalt. 
Die Offiziere kennen ihre Leute. Ein Oberleutnant — mir erzählte es später einer der 
Soldaten — drückte sich hinter den Leuten an den Schießscharten vorbei, zündete ihnen 
im stärksten Feuer die kalten Zigarren an und steckte sie ihnen dann wieder zwischen die 
Zähne, während die Soldaten luden und schossen. Und so ein alter Familienvater kichert 
dabei vertraulich: „Nich wahr, Herr Oberleutnant, wenn meine Alte jetzt da wäre, der 
würden die Pleureusen senkrecht in die Höhe stehen!" 
Das zweite Bataillon liegt zu Beginn des Trommelfeuers in der vordersten Linie. 
Das Kommando befiehlt: „Die zweite Linie rückt in die vordere Linie." Das dritte 
Bataillon geht vor. In diesem Granatensegen! Mit welcher Selbstüberwindung, mit 
welchem Schneid! 
Rauch dringt in Augen und Ohren — man kann den Führer nicht mehr sehen — 
unsere Leute stolpern und tasten, sie stürzen in frischgerissene Granatenlöcher — das 
Mündungsfeuer der Geschütze zuckt auf, Blitz auf Blitz, ein Riesenwetterleuchten liegt 
über der Front, der Himmel könnte es nicht besser treffen. Die Granaten reißen Lücken 
in die vorwärtshastenden Kolonnen. Wo der Graben von den Geschossen eingeebnet ist, 
heißt es vorwärts über freies Feld! Der Gedanke ist nicht zu fassen in diesem Wolken 
bruch der feindlichen Granaten und Schrapnells. 
Nun arbeiten drüben die Leuchtpistolen. Weiß, grün, rot. Ihr Licht schlägt grell auf 
die Erde, das Feuerwerk wird immer toller. 
Nun rennen unsere Leute vor. Ueber gefallene Leichen. Die Engländer kommen! 
Sie kriechen und wälzen sich heran, aus den Granatlöchern erheben sich ihre Sturm 
kolonnen. Das Feuer wird nicht schwächer, die Granaten schmettern in die Riesenbäume 
und wie umgemäht stürzen die alten dicken Stämme vor Feind und Freund. Die Eng 
länder liegen schon vor unseren Gräben vier, fünf Meter weit, ein dichter Schleier. 
Es ist sechs Uhr. Bei dem südlichen Nachbarregiment erfolgt eine heftige Explosion! 
Die Engländer haben eine Mine gesprengt, und wenige Minuten später gelingt es 
ihnen mit Uebermacht dort in die erste deutsche Linie einzudringen. Dadurch kommen 
die Engländer in den Rücken der Sachsen, aber rasch geht deren neunte Kompanie in 
Flankenstellung. Leutnant Junghans, ein frisches Blut, läuft nach vorn, ohne Waffe, 
wie er im Unterstände saß. Er hat nur den Gedanken: „Es muß ein Offizier vorn 
sein!" Einen Sprung um die Ecke — da trifft ihn ein tödlicher Brustschuß. Man 
nannte die Stelle das Straßburger Tor. 
Die Engländer schleudern vor den Gräben der Sachsen Handgranaten. Eine Leucht 
rakete geht hoch, da springen alle vor — unsere Maschinengewehre streichen ab nach 
vorn, nach rechts und links, wie eine Sense über das Kornfeld, und tausende Frauen 
von Schottland sind um einen Sohn ärmer. Unsere Sachsen stehen im Graben, an 
ihnen zittert alles — nur nicht die Handgranate in ihrer Faust. Nur bis zum Graben 
rand sind die Engländer gekommen, was nicht zusammengemäht vor unserer Front 
liegt, wird in unserem Graben erschlagen. Das Röcheln der Sterbenden, das Jam 
mern der Verwundeten erstickt im Geheul der hin- und hersausenden Granaten.
	        
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