334 Großbritannien während des zweiten Kriegshalbjahres
der großen Mehrzahl von völliger Gleichgültigkeit und nur bei wenigen von direkter
Illoyalität sprechen kann. Das genüge aber, die englische Herrschaft in Indien zunächst
so gut wie gesichert erscheinen zu lassen, wobei natürlich die vorgekommenen Aufstands
versuche nicht unterschätzt werden dürsten.
Der blutige Aufstand im Pendschab anfangs Dezember 1914, bei dem sich
hindostanische und mohammedanische Soldaten aus Kalkutta der Stadt Cawnpore be
mächtigten und sie drei Tage behaupteten, wurde in Europa erst durch die Verhand
lungen vor dem Oberen Gerichtshof in Delhi im 11. Februar 1915 bekannt.
Ueber den Aufstand in Singapur ist am 24. Februar 1915 folgende amtliche
Meldung bekannt gegeben worden: „Bei der Meuterei eines indischen Infanterie
regiments in Singapur wurden sechs englische Offiziere und 16 Unteroffiziere und
Soldaten getötet, neun Unteroffiziere und Soldaten verwundet, 14 englische Zivilisten,
darunter eine Frau, getötet. Die Meuterei ist unterdrückt." Nach späteren Meldungen
soll die Ursache der Meuterei, die am 15. Februar 1915 in der Alexanderkaserne be
gann, die Weigerung der indischen Truppen gewesen sein, der Marschordre an die
europäische Front zu folgen, da sie nur für Asten Handgeld genommen hätten. Sie
erschossen ihre Offiziere, bemächtigten sich der Regimentskasse, befreiten die in der Tanglin-
kaserne internierten Deutschen und forderten sie auf, sich ihnen anzuschließen. Die
Deutschen machten jedoch von ihrer Befreiung keinen Gebrauch; nur 17 Mann, darunter
acht Mann der „Emden" entflohen. Sechs wurden wieder ergriffen, die übrigen ent
kamen unter Führung des Kapitäns Lauterbach nach den Karimoninseln und dann nach
Sumatra. Zur Unterdrückung des Aufstands, der die Unterstützung der bewaffneten
Bevölkerung fand und sich ziemlich ausgedehnt zu haben scheint, hatte der Gouverneur
durch Radiotelegramme auch den Beistand der in der Nähe weilenden Kreuzer der
Alliierten erbeten. Am 17. Februar landete der Kreuzer „Montcalm" 180 Mann und
zwei Maschinengewehre, andere Kontingente landeten die japanischen Kreuzer „Ottawa"
und „Tsuschima", sowie der russische Kreuzer „Orel". Die Gesamtverluste der Engländer
sollen 300 Mann betragen haben.
Bei späteren Untersuchungen wurde der in Singapur lebende angesehene Araber
Kasimbin Jsmael Mansur mit seiner ganzen Familie verhaftet und wegen Hochverrats
Anfang Juli 1915 hingerichtet, weil sich aus einem aufgefangenen Bries ergab, daß er
bereits Anfang Januar 1915 einen türkischen Konsul davon verständigt hatte, daß das
zum Teil aus Mohammedanern bestehende Regiment der Mulay States Guides beab
sichtige, an der Seite der Türken in den Kampf einzutreten.
Interessante Aufklärungen über eine von langer Hand vorbereitete allgemeine Ver
schwörung zur Vertreibung der Europäer und Einsetzung einer eigenen Regierung ergaben
auch die Gerichtsverhandlungen, die Anfang Mai 1915 in Lahore gegen Hardayal und
Amar Singh, die Hauptleiter des Ausstandes, stattfanden. Darnach war beabsichtigt,
die indischen Soldaten zur Meuterei zu gewinnen, durch Raub und Waffengewalt Geld
und Waffen zusammenzubringen, Polizeibeamte, Offiziere und Europäer zu ermorden,
die Eisenbahnzüge und Brücken zu zerstören, die europäischen Truppen durch plötzliche
Angriffe niederzumachen und durch aufrührerische Schriften und Reden die Allgemeinheit
zu mobilisieren. Die Anklageschrift führte alle Unruhen und Morde sowie den Auf
ruhr in Singapur auf die Tätigkeit der Verschwörer zurück, die auch in Amerika und
in China für ihre Sache zu werben wußten. Auch in der Folgezeit hörten die Unruhen
nicht aus, die selbst die bengalische Studentenschaft ergriff, so daß Surendranath Ba-
nerjes, Mitglied des vizeköniglichen und bengalischen Rates, in öffentlicher Versamm
lung die Studenten aufforderte, doch nicht durch ihre anarchistischen Bestrebungen die
zukünftige freie Stellung Indiens im Reiche zu gefährden.