Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

328 Großbritannien während des zweiten Kriegshalbjahres 
geberischen Mitteln wiederherzustellen, ließen sich die stärksten und mächtigsten Gewerk 
schaften, die der Bergarbeiter, von einem Ausstand nicht abhalten. Der Handelsminister 
Runciman mußte am 13. Juli 1915 im Unterhaus mitteilen, daß die Unterhandlungen 
zwischen den Bergwerksbesitzern und den Bergarbeitern gescheitert seien und daß die 
Regierung sich demgegenüber keinen anderen Rat gewußt habe, als den Bergwerksbetrieb 
durch königliches Dekret unter die Bestimmungen des Munitionsgesetzes (vgl. 
S. 314) zu bringen. Dadurch wird die Beteiligung an Streiks oder Sperrungen straf 
bar gemacht und die Schlichtung des Streiks dem Handelsamt übertragen. 
Wiederum eilte Lloyd George, begleitet von den Ministern Runciman und Henderson, 
nach Cardiff, aber es gelang ihm zunächst nicht, die feiernden 200 000 Grubenarbeiter 
zur Wiederaufnahme der Arbeit zu überreden, die besonders dadurch erbittert waren, 
daß die Regierung den Bezirk unter das Munitionsgesetz stellte. Erst nach einer Woche, 
am 21. Juli 1915, konnte der Streik durch Annahme aller Arbeiter-Forderungen beigelegt 
werden, denen außerdem noch sechs Monate nach dem Kriegsende Gültigkeit zugesichert 
wurde. So waren die Arbeiter Sieger geblieben, und die Arbeitgeber, die englische Re 
gierung und das Munitionsgesetz, dessen strenge Eingriffe in die Freiheiten des Arbeiters 
man nicht anzuwenden wagte, hatten eine Niederlage erlitten. 
Wie wesentlich die Verbesserung der Lohnverhältnisse der englischen Arbeiter 
war, geht aus einem Ueberblick der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" über die Lage 
des englischen Arbeitsmarktes bis August 1915 hervor, nach dem, teils infolge der 
großen Verbesserung des Beschäftigungsgrades durch eine das Angebot übersteigende 
Nachfrage nach Arbeitskräften in säst allen Industrien, teils infolge der Verteuerung 
des Lebensunterhaltes, nahezu 2 1 l 2 Millionen Arbeiter seit August 1914 Lohnerhöhungen 
oder Kriegszulagen im Betrage von mehr als 400 000 Pfund Sterling in der Woche 
oder im Durchschnitt über 3 8b. für jeden Arbeiter, erhielten. Diese Zahlen enthalten 
nicht die Lohnerhöhungen, welche den landwirtschaftlichen Arbeitern, den Seeleuten, den 
Eisenbahnbediensteten wie den Beamten der Polizei und der Regierung bewilligt worden 
sind. Sie enthalten auch nicht den Verdienst aus Leistung von Ueberzeitarbeit. 
Die Frage der allgemeinen Wehrpflicht 
Wie aus den Parlamentsverhandlungen hervorgeht, tauchte der Gedanke, die bestehenden 
Schwierigkeiten in der Mannschaftsbeschaffung mit der Einführung der allgemeinen Wehr 
pflicht, ein für alle Mal zu beheben, mehr oder weniger energisch vertreten, immer aufs 
neue auf, und gewann langsam an Verbreitung. Schon im ersten Kabinettsrat, den das 
neue Koalitionsministerium unter dem Vorsitz des Königs Georg V. abhielt, bezeichnete Lord 
Kitchener den Gang der Rekrutierung zwar als befriedigend, aber doch als für eine längere 
Kriegszeit unzureichend und erklärte die Notwendigkeit der zwangsweisen Aushebung aller 
Tauglichen im Alter von 18 bis 35 Jahren als unerläßlich. Von den 21 Ministern 
sprachen sich aber damals allerdings noch zwölf gegen jede Zwangsaushebung aus. 
Auch der Widerstand in der Bevölkerung war noch immer allgemein und groß. Die 
unabhängige Arbeiterpartei veröffentlichte Ansang Juni 1915 nach dem „Labour Leader" 
einen Aufruf gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, und eine Versammlung 
der englischen „Freien Kirchen" gab am 13. Juni 1915 in einer Resolution der Erwartung 
Ausdruck, daß die Regierung die freiwillige Unterstützung Aller für die Durchführung 
des Krieges finden und keine Methoden anwenden werde, die geeignet seien, die Nation 
zu spalten und die Sicherheit des Landes zu gefährden. Gleichwohl begrüßte „Daily 
Chronicle", das wie „Daily News", nicht zu den unter die Botmäßigkeit Lord North- 
cliffes stehenden Blättern gehört und bisher stets gegen die von den Liberalen
	        
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