Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Von den Beziehungen zu den alliierten und neutralen Staaten 219 
Die Beziehungen Rußlands zu den Westmächten 
Die Klage, daß Rußland ganz allein die Lasten des Kriegs zu tragen habe, wird, 
wie der Vertreter des „Daily Telegraph" in Petersburg am 21. Juni 1915 warnend 
nach London berichtete, immer allgemeiner und heftiger. Sie wird nicht nur in den 
Kreisen des Volkes geäußert, sondern auch von sachverständigen militärischen Beurteilern, 
u. a. von demjenigen des „Rußki Invalid", der Beziehungen zum Generalstab unter- 
hält und wiederholt auf den Widerspruch aufmerksam machte, der darin liege, daß aus 
russischem Gebiet an etwa zwölf Punkten schwere Schlachten geliefert werden, während 
die britischen, französischen und italienischen Heere scheinbar untätig blieben. Um eine 
einheitlichere Durchführung der kriegerischen Operationen an den verschiedenen Fronten zu 
ermöglichen, sind nach Mitteilungen der „Frankfurter Zeitung" vom 26. Juni 1915 zwischen 
Petersburg und Paris Unterhandlungen angebahnt worden, um aus Vertretern der ver 
bündeten Mächte einen obersten Kriegsrat einzurichten, was dann am 12. August 1915 
erstmals verwirklicht wurde (vgl. VII, S. 254). Schon Anfang Juli 1915 hatte der 
Zar seinen Flügeladjutanten, General Sandanski, nach Paris gesandt, um die Franzosen 
und Engländer zu einer energischen Aktion gegen die deutsche Westfront zu veranlassen. 
Sehr enttäuscht war man in Petersburg auch, daß die Italiener bisher keine Erleich 
terung der militärischen Lage der Verbandsmächte herbeizuführen vermochten. 
Unterdessen ist England nicht müßig geblieben, seine Verbindungen mit Rußland in 
jeder Beziehung noch enger zu gestalten und gegen alle Warnungen vor der englischen Freund 
schaft so auch gegen Witte energisch aufzutreten. Ein Diplomat, wahrscheinlich der englische 
Botschafter Sir George Buchanan, erklärte einer Petersburger Tageszeitung, „die englische 
Regierung habe darauf aufmerksam gemacht, daß der Standpunkt, den Gras Witte in 
bezug aus Englands Rolle und Stellung im gegenwärtigen Kriege auf öffentlichen Ver 
sammlungen eingenommen habe (vgl. S. 202), weder vom Gesichtspunkt des wirklichen 
Sachverhalts, noch von dem der bestehenden wechselseitigen Beziehungen zwischen den Ver 
bündeten gerechtfertigt werden könne." Anfang Juni 1915 ist dann in Moskau von 
Vertretern der dortigen englischen Kolonie und hervorragenden russischen Persönlichkeiten 
eine Gesellschaft zur Annäherung an England gegründet worden, während 
bereits seit Mitte April 1915 eine neue Kabelverbindung von Schottland nach Alexan- 
drowsk an der murmanischen Küste unter Vermeidung des Weges über Norwegen aus 
schließlich der Uebermittlung der Staatstelegramme Rußlands und Englands diente. 
Charakteristisch sind auch die Annäherungsversuche englischer Bischöfe. Wie die „Times" 
am 17. März 1915 berichteten, teilte Rothay-Reynolds in einem Vortrage im Imperial- 
Institut mit, Bischof Anastasius habe in der Petersburger Kirchenakademie einen Brief 
englischer Bischöfe verlesen, die während eines Besuches Rußlands von der russischen 
Kirche und Geistlichkeit die besten Eindrücke empfangen hätten und bereit seien, alles zu 
tun, um eine Vereinigung der englischen mit der russisch-orthodoxen Kirche herbeizuführen. 
Bischof Anastasius habe herzlich, aber unverbindlich geantwortet. Auch die englischen 
Bischöfe werden ihren Vorschlag, der wohl nur den Zweck hatte, russischer Eitelkeit zu 
schmeicheln, kaum ernst gemeint haben. 
Die Beziehungen Rußlands zu Amerika 
Die Hauptlieferanten für die Kriegsbedürfnisse Rußlands an Geschützen, Gewehren, 
Munition u. a. m. wurden mehr und mehr die Vereinigten Staaten von Nordamerika 
entweder direkt oder auf dem Wege über Japan. Allerdings traten Ansang April 1915 
insofern Schwierigkeiten ein, als die amerikanischen Waffen- und Munitionsfabriken jede 
weitere Ausführung russischer Aufträge verweigerten, falls die Zahlungssumme nicht im 
voraus erlegt werde oder England und das amerikanische Bankensyndikat die Bürgschaft
	        
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