Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

216 Rußland während des zweiten Kriegshalbjahres 
Die Wirtschaftslage und die Maßnahmen zu ihrer Verbesserung 
Als der russische Finanzminister Bark nach seiner Rückkehr aus Paris und London im 
März 1915 (vgl. IV, S. 256) die Leiter der großen Petersburger Finanzinstitute empfing, 
betonte er mit besonderem Nachdruck die, wie er meinte, „axiomatische Tatsache", daß „Ruß 
lands Kredit im befreundeten Auslande felsenfest dastehe". Dieser Behauptung gegenüber 
hat der Sonderberichterstatter der „Vossischen Zeitung" in Stockholm auf Grund der ein 
schlägigen Devisenkurse den wirklichen Rubelpreis von Mitte Juni 1914 und 1915 verglichen. 
Darnach bedang ein Scheck für 100 Rubel auf Petersburg Juni 1914: in London 
10,16 Lstr., in Paris 270,20 Fr-, in New Jork 50,85 Doll., in Stockholm 192,10 Kr. Im 
Juni 1915 stellten sich die betreffenden Kurse aus 8,1 Lstr., 201,50 Fr., 38,40 Doll, 
und 146,50 Kr. Und selbst diese erschreckend zurückgegangenen Kurse hätten tatsächlich 
nicht aufrecht erhalten werden können, wenn nicht die Kreditkanzlei des russischen Finanz 
ministeriums den einheimischen Import- und Exportkreisen billigere Auslandstratten zur 
Verfügung gestellt hätte. Es ist dabei höchst bezeichnend, daß gerade die Börsenplätze 
der mit Rußland engverbündeten Länder — Paris und London — in erster Linie auf 
die Entwertung des Rubelkurses emstglich und unaufhaltsam bedacht waren. Der Haupt 
grund dafür ist wohl die durch den Krieg hervorgerufene Isolierung des jungen, 
beim Ausbruch des Krieges noch in der Entwicklung begriffenen russischen Wirtschafts 
lebens, das sich in keiner Weise selbst genügen konnte. „Die Fabriken können," wie dem 
„Berliner Tageblatt" von einem früheren Petersburger Korrespondenten geschriebm wird, 
„nicht arbeiten, weil das Ausland die zum Betrieb erforderlichen Maschinen nicht liefern 
kann. Was fehlt nicht alles! Rohmaterial, Feuerung, Arbeitskräfte, Kredit und Absatz 
an eine zahlungsfähige Klientel. So liegen alle Industrien, die nicht für den Krieg 
arbeiten, lahm, und auch die Heranziehung zur Kriegsarbeit kann ihnen keinen Gewinn 
schaffen, weil ihre Betriebe nicht darauf eingerichtet werden können. Die Industrien 
aber, die auch im Frieden für Heer und Marine lieferten, können nicht prosperieren, weil 
der Fiskus ihr einziger Auftraggeber ist, eben derselbe Fiskus, der beständig und überall 
nach Geld sucht." So haben es die beiden größten russischen privaten Geschütz- und 
Munitionsfabriken — die Putilowschen Werke und die Russischen Artilleriewerke 
(Vickers) — fertiggebracht, für das Geschäftsjahr 1914/1915 gar keine bzw. ganze 
2 1 /i Proz. Dividende zur Verteilung zu bringen. Dazu kommt ein empfindlicher Mangel 
an Kohlen, Brennholz, Naphtha und auch Baumwolleund eine ungeheuere Preis 
erhöhung aller derjenigen Artikel, wie z. B. der Chemikalien, die Rußland seit jeher fast 
ausschließlich einzuführen gezwungen war. Alle Maßnahmen der Regierung, so auch die 
Verlängerung des Moratoriums für Kohlen vom 30. Juni 1915 auf vier Monate waren 
erfolglos, und als sich mehr und mehr auch noch ein empfindlicher Arbeitermangel be 
merkbar machte und zahlreiche Ausstände eine ruhige Produktion, vor allem der Muni 
tion und anderer Kriegsmittel, hemmten, beschloß ein Kongreß der russischen Jndustriellm 
und Kaufleute, der Anfang Juni 1915 in Petersburg tagte, einstimmig, die gesamte 
Industrie derart zu organisieren, daß sie den Bedürfnissen der nationalen Ver 
teidigung angepaßt wird. Gleichzeitig wurde die Errichtung eines Ausschusses für 
Kriegsindustrie aus Vertretern der technischen Wissenschaften, der industriellen und 
kaufmännischen Organisationen, der Eisenbahn- und Schiffahrtsgesellschaften sowie der 
Semstwos und Städte beschloflen, zum Studium aller der industriellen Fragen, die mit 
den Kriegsbedürfnissen im Zusammenhang stehen. In allen Städten des Reiches sind 
im Zusammenhang damit kriegswirtschaftliche Ausschüsse gegründet worden, die 
eine überaus eiftige Tätigkeit entfalteten und Anfang August 1915 in Petersburg zu einem 
Landeskongreß zusammentraten, über dessen Beratungen im nächsten Zeitabschnitt be 
richtet werden wird.
	        
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