Maßnahmen des Zaren und der Regierung 213
Ueber „die ukrainische Staatsidee und den Krieg gegen Rußland* hat Dmytro Donzow
eine Schrift verfaßt, die vom ukrainischen Zentralausschuß herausgegeben, als wert
vollste und gründlichste Behandlung der ukrainischen Frage bezeichnet werden muß. Dar
nach wurde die ukrainische Frage infolge der Revolution von 1905 wieder zu einem
internationalen Problem, da den Massen die Teilnahme am öffentlichen Leben ermög
licht worden war und zahlreiche Organisationen und Zeitungen entstanden. Die Anzahl
der in ukrainischer Sprache gedruckten Bücher betrug 1909 191000, zwei Jahre später
600 000 Exemplare. Eine wichtige Rolle spielten die Selbstverwaltungsorgane (Semst-
wos), die der Bewegung eine außerordentlich wirksame Förderung angedeihen ließen. Auch
die Genossenschaften waren erfolgreiche Träger der ukrainischen Propaganda. Das Ziel
der Bewegung war die Autonomie des Landes, losgelöst von Rußland unter freundschaft
licher Anlehnung an Oesterreich.
Als dann der Krieg ausbrach, ist bald daraus im Oktober 1914 eine ukrainische Ab
ordnung in die europäischen Staaten entsandt worden, die überall in bewegten Worten
die Leiden der Ukrainer unter der russischen Herrschaft schilderte und betonte, daß die
Ukrainer, den gegenwärtigen Krieg benützend, fest entschlossen seien, ihre Unabhängigkeit
zu erlangen. Besonders in Konstantinopel und in Sofia fanden die Abgesandten lebhafte
Sympathien. Bald daraus hat sich in Wien ein „Bund zur Befreiung der Ukraina"
gebildet, dessen Huldigungs- und Begrüßungstelegramme an Kaiser Wilhelm und
Feldmarschall Mackensen ebenso wie dessen Protest, gegen die barbarischen Maßnahmen
der russischen Regierung zur Verwüstung der ukrainischen Länder bereits erwähnt worden
sind (vgl. S. 143 u. 185).
Maßnahmen gegen die Juden
Das Auslandskomitee des Allgemeine» Jüdischen Arbeiterbundes in Litauen, Polen
und Rußland („Bund") hat Mitte Februar 1915 in der „Frankfurter Zeitung" einen
Ausruf „an die Kulturwelt" veröffentlicht, in dem ausführlich die entsetzliche Lage der
russischen Juden geschildert wurde, die buchstäblich außerhalb der Gesetze gestellt worden
waren. Zunächst werden die schmachvollen Rechtsbeschränkungen erwähnt, die schon zu
Friedenszeiten die russischen Juden empfindlich bedrückten, so das Verbot des Aufenthalts
außerhalb des „Ansiedelungsgebietes", die Beschränkung in der Ausübung einzelner
Gewerbe, die Nichtzulassung zu öffentlichen und Staatsämtern und zu den Lehranstalten.
Neben diesen beständigen Elementen der jüdischen Rechtlosigkeit in Rußland hat
die russische Regierung im Zusammenhang mit den Kriegsoperationen einen wahren Ver
nichtungskrieg gegen die Juden unternommen.
„Der Krieg spielt sich in Rußland im Ansiedlungsgebiet der Juden ab, in der Haupt
sache in Polen und in einigen litauischen Grenzgouvernements. Die jüdische Bevölkerung
dieser Gegenden ist infolge des Krieges völlig ruiniert und der Hungersnot preisgegeben
(vgl. VI, S. 220). Dies grenzenlose Elend und die Invasion feindlicher Truppen zwangen
die Juden, ihre Wohnsitze zu verlassen. Da trat aber die vorsorgliche Regierung aus und
gab darauf acht, daß kein Jude etwa die Grenzen des Ansiedlungsrayons überschreite.
Sorgfältig wurden die Häuser der Juden in den Städten außerhalb des Ansiedlungsrayons
nach Flüchtlingen durchstöbert; wurde jemand dort erwischt, so ward er verhaftet, für
„unrechtmäßigen Aufenthalt" bestraft und per Schub dem Hungertode entgegen zurück
nach seinem verödeten Zuständigkeitsort abtransportiert ...
Mehr noch: Unter den Auspizien der Zivil- und Militärbehörden hat in Polen eine
lange Reihe von Pogromen begonnen, an denen die Soldaten teilnehmen, die durch die
antisemitische Propaganda der Regierung und des Abschaums der polnischen Bevölkerung
gegen die Juden aufgehetzt werden. Die Juden werden grausam mißhandelt, ihr Hab