Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

202 Rußland während d es zweiten Kriegshalbjahres 
arbeitung des eine Verfassung verheißenden Manifestes vom 30. Oktober 1905 berufen wurde. Die 
von ihm unternommene Aufgabe scheiterte jedoch sowohl an dem Mißtrauen der Liberalen als auch 
an den Intriguen der Hofkreise und der äußersten reaktionären Kreise, denen man sogar Attentate 
auf Witte zuschreibt. Am 5. Mai 1906 wurde Witte entlasten, und zwar bezeichnenderweise un 
mittelbar nach Abschluß einer russischen 500 Millionen Franes-Anleihe auf dem Pariser Markte." 
Seitdem ist Witte politisch nur noch wenig hervorgetreten. Im November 1914 hat er in einer 
außerordentlichen Sitzung des russischen Reichsrats die Regierungsvorlage einer Kriegssteuer un 
günstig beurteilt und betont, die Kriegsausgaben könnten nur durch große Anleihen gedeckt werden. 
England könne nicht als Vorbild dienen, denn es habe auch durch diesen Krieg verdient und sich 
bereichert, ohne das Endziel aus den Augen zu lassen, das es durch ihn erreichen wolle. Das gab 
zu einer halbamtlichen Mitteilung an die Presse Veranlassung, in der es heißt: „Graf Witte wünschte 
aus Gründen zugleich persönlicher Natur und aus Parteiintereste auf der politischen Bühne wieder zu 
erscheinen und hat sich in der russischen Hauptstadt zum Zentrum eines kleinen Kreises gemacht, wo man gern 
über die Mittel diskutiert, dem Kriege ein Ende zu machen. In Petersburg selbst kümmert man sich um 
die Tätigkeit des Grafen Witte nicht im geringsten. Die Tragweite der von dem Grafen Witte ge 
äußerten Friedenspläne geht nicht über den engen Kreis seiner um ihn gescharten Freunde hinaus. 
Was Witte für Rußland erstrebte, waren nach seinen eigenen Worten hundert Jahre 
Frieden! „Wäre das zu ermöglichen," sagte er, „so würde uns die Weltherrschaft wie eine reife 
Birne in den Schoß fallen!" Es ist daher falsch, Witte als Deutschenfreund zu bezeichnen, er hatte 
in allem nur die Interessen seines Landes, Rußlands, im Auge. 
25. März 1915. 
Zum Nachfolger des russischen Handelsministers Timaschew, der sein Amt 
niederlegen mußte, wurde der bisherige Leiter des Amtes für Landstraßen und Wasser 
wege, Wirklicher Staatsrat Fürst Schachowskij, ernannt. 
Timaschew fiel als Sündenbock für die immer ungünstiger werdende wirtschaftliche Lage Rußlands. 
Der neue Handelsminister wird das jüngste Kabinettsmitglied sein. Er ist erst 39 Jahre alt. 
1. April. 
Ministerpräsident Goremykin wurde zum Präsidenten des Finanzkomitees ernannt 
an Stelle des verstorbenen Grafen Witte. 
4. April. 
Finanzminister Bark wurde vom Zaren durch die Verleihung des Ordens der Heil. 
Anna erster Klasse ausgezeichnet. 
Der Gehilfe des Kriegsministers, General Wernander, wurde unter Belastung auf 
seinem jetzigen Posten zum Mitglied des Reichsrats ernannt. 
18. Juni. 
Der Chef des Marinestabs, Vizeadmiral Russin wurde zum Gehilfen des Marine 
ministers mit Beibehaltung seines bisherigen Amtes ernannt. 
19. Juni 1915. 
Der Minister des Innern, Maklakow, ist zurückgetreten. Er bleibt Mitglied des 
Reichsrats und Hofmeister. An Stelle des zurückgetretenen Ministers ist der Chef der 
Hauptverwaltung des Reichsgestütswesens Fürst N. B. Schtscherbatow, zum Minister 
des Innern ernannt worden. 
„Maklakow gehörte," wie der „Kölnischen Zeitung" geschrieben wurde, „zu den Männern in 
Rußland, die man kurz als kenntnisreiche Reaktionäre bezeichnen kann. Das sind Männer, die nicht 
nach dem Geschmack der konstitutionellen Demokraten, wie sich die russischen Liberalen nennen, sind, 
die auch dortzulande ihr Vorbild in den liberalen Westmächten sehen, aber Männer, die an Wiffen 
und Wollen hoch über den liberalen Phrasenhelden stehen, die glaubten, daß ein Blatt Papier wie 
die Urkunde, aus welcher der Zar die Gewährung der Verfaffung ankündigte, schon genügte, um aus 
einem Jahrhunderte hindurch selbstherrlich geleiteten Lande über Nacht einen parlamentarisch regierten 
Rechtsstaat zu schaffen. Maklakow, der mit 37 Jahren Ende 1912 vom Posten eines Gouverneurs 
von Tschernigow zum Minister des Innern berufen wurde, stammte wie sein Vorgänger, Makarow, 
nicht aus dem engen aristokratischen Kreise, der in Rußland bis vor kurzem für die höchsten Staats-
	        
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