Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

wurden schon in den ersten Tagen abgeschoben. Es wäre aber falsch, zu glauben, daß 
man nur diejenigen dabehalten hätte, deren Sympathie für Frankreich offenkundig war 
oder die sich durch Kundgebungen bemerkbar gemacht hätten. Es muß sogar auffallen, 
wie wenig die Einwohner ihre Gefühle zeigen, wenn man darunter das Zurschautragen 
derselben versteht. Der Elsässer hat von jeher kein offenes Wesen besessen, und dieser 
Charakterzug hat sich in 45 Jahren des Druckes nur noch verschärft. Zudem ist die 
Furcht vor dem Ausspionieren noch nicht völlig gewichen. Einige Städte im Elsaß, wie 
Thann, Dammerkirch, und zahlreiche Dörfer liegen ganz nahe an der Front; es genügt 
ein Ueberfall, um sie wieder in die Gewalt ihrer früheren Herren fallen zu lassen. 
In allen elsässischen Dörfern sieht man neben den säst überall hängen gelassenen 
deutschen Schildern eine große Zahl Wirtshaustafeln in französischer Sprache. Wo die 
Häuser frisch gestrichen wurden, hat man die Schilder mit blau-rot-weißen Buchstaben 
bemalt. Die Elsässer haben lange gezaudert, Farbe zu bekennen. Jetzt aber, da die 
neue Herrschaft schon ein volles Jahr währt, hält man sie nachgerade für unbestritten. 
Vollkommen gewonnen scheint die Jugend: die Kinder singen aus den Straßen die 
Marseillaise, daß es eine Art hat. 
Die schon früher schwer geprüfte Elsässer Bevölkerung muß gegenwärtig, beiderseits 
der Kampflinien, die schmerzlichste moralische Prüfung über sich ergehen lassen. Viele 
Familien haben Angehörige an beiden Fronten. Wenn jedoch etwas diese vielen elsässischen 
Familien auferlegte Prüfung zu mildern imstande ist, so ist es die Lage des Landes 
selber, das bislang vor der Kriegsgeißel noch einigermaßen bewahrt geblieben ist. Die 
Mülhauser Gegend, in der ja große Schlachten geliefert worden sind, hat zwar ziemlich 
hart gelitten; sonst aber macht es ganz den Eindruck, als ob die beiden Gegner im 
Rahmen der militärischen Notwendigkeit das Elsaß als eigenes Land ansehen und ihm 
daher alle unnötige Heimsuchung zu ersparen trachten. Was die Franzosen anbelangt, 
so liegen Mülhausen und Kolmar im Schußbereich ihrer Kanonen, und doch ist bisher 
noch keine einzige Granate auf die beiden Städte abgefeuert worden, geschweige denn auf 
Altkirch und Münster. Eine solche Schonung bedeutet militärisch eine Schwächung." 
So schrieb Dr. W. M. am 8. August 1915 und verschwieg oder wußte nicht, daß u. a. 
die von den Franzosen besetzte Kreisstadt Thann schon vor dem Juni 1915 durch die 
französische Beschießung schwer gelitten hatte, daß das nahe bei Mülhausen gelegene 
Trappistenkloster Oelenberg bei Reiningen von den Franzosen von den Vogesenhöhen 
aus ohne erklärlichen Grund Mitte Juli 1915 mit schweren Granaten in Brand ge 
schossen und mit zahlreichen Kunstwerten, die nicht mehr rechtzeitig nach Freiburg in 
Sicherheit gebracht werden konnten, zerstört worden war, und daß schließlich auch Münster, 
nach dem Mißlingen des französischen Durchbruchsversuches Mitte Juli 1915, tagtäglich 
einem verheerenden französischen Artillerieseuer ausgesetzt wurde, das viele Gebäude zer 
störte und zahlreiche Opfer unter der unschuldigen Zivilbevölkerung forderte. Um diese 
Zeit wurde auch der Ort Metzeral von den Franzosen zerstört, was durchaus sinnlos 
war. Der französischen Heeresleitung mochte wohl zum Bewußtsein gekommen sein, daß 
diese blinde Zerstörungswut nicht das rechte Mittel war, um die unter „deutschem Joch 
schmachtende" elsässische Bevölkerung für sich zu gewinnen, denn sie log in ihren amt 
lichen Berichten, daß Metzeral nicht von ihrer, sondern von deutscher Artillerie zerstört 
worden sei. Womit sie allerdings bei der kundigen Bevölkerung kein Glück hatte; denn 
die wußte ganz genau, woher die Schüsse kamen, die ihre Häuser in Brand setzten, ihr 
Hab und Gut vernichteten, sie von der geliebten Scholle vertrieben und zu Bettlern machten. 
Wesentlich anders als die für die gläubigen Neutralen frisierte Erzählung des Herrn 
Dr. W. M. lauten auch die Berichte jener Elsässer, die nach langem Petitionieren endlich 
nach einem Jahr die Erlaubnis zur Auswanderung nach Deutschland erhielten und dort
	        
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