Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

108 Die Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl 
Die Kämpfe vor Szawle am 21. Juli 1915 
Um Mitte Mai 1915 war die bis nördlich von Szawle vorgedrungene deutsche Linie 
vor den an jener Stelle besonders stark angesetzten russischen Verstärkungen einige Kilo 
meter südlich und westlich, teilweise bis an die Dubiffa, ausgewichen (vgl. VI, S. 4). 
Die sehr kräftig ausgebaute russische Stellung, die sich auf die Dörfer Lepary und 
Gringary stützte, wurde am 20. Juli 1915 angegriffen. Nach zweieinhalbstündiger 
Artillerievorbereitung, die durch das Mitsprechen großer Kaliber besonders wirksam 
war, ist dann um 3.30 nachmittags die Lepary (fünf Kilometer südwestlich von Szawle) 
flankierende Höhe 142 durch ein Infanterieregiment in kühnem Anlauf gestürmt worden. 
Heftige Gegenangriffe, die der Feind nachts unternahm, endeten mit seiner vollkommenen 
Vertreibung auch aus seinen übrigen, seit vielen Wochen zäh behaupteten Stellungen 
und aus Szawle. Um den Rückzug in Richtung Radziwilischki, halbwegs zwischen Szawle 
und Schadow gelegen, zu decken, nahmen die Russen den östlichen Teil der Stadt Szawle, 
die bei Morgengrauen von einem ostpreußischen Regiment besetzt worden war, unter 
Feuer. Sie wurden aber von den energisch nachstoßenden deutschen Truppen hart bedrängt 
und durch den Hauptteil jener deutschen Truppenteile vom Rückzug abgeschnitten, die in der 
Richtung aus Mitau vorgegangen (vgl. S. 102), dann aber, nachdem sie den Feind hier 
gefesselt hatten, mit dem Gros in südöstlicher Richtung abgeschwenkt und über die Muscha 
hinaus vorgedrungen waren. 
„Den Russen war, nach einem Berichte von Dr. Paul Michaelis im „Berliner Tageblatt", 
in einem aufgefundenen Armeebefehl gesagt worden, daß die Armee eingeschlossen sei, 
und daß entweder größere Abteilungen einen Durchbruch versuchen oder kleinere sich 
durchschleichen und hinter der deutschen Linie sich wieder sammeln sollten. Offenbar 
war bei Pokroj ein solcher Durchbruch geplant, aber er scheiterte an deutscher Stand 
haftigkeit. In langen Reihen wurden die todesmutig vorstürmenden Russen niedergemacht... 
In endlosen oft kilometerlangen Zügen sind dann die Gefangenen abgeschoben 
worden. Alle Straßen wimmelten von diesem braunen Heerwurm, der sich gegen 
die deutsche Grenze wälzte. Es waren fast durchweg gutgekleidete kräftige Gestalten, 
die ohne Mißmut, ja, mit einer naiven Fröhlichkeit dahintrotteten und bei denen 
keinen Augenblick der Gedanke aufkam, sich der Gefangenschaft entziehen zu wollen. 
Beträchtliche Mengen werden sogleich zu den verschiedensten Arbeiten an Ort und Stelle 
verwendet. Ueberall sah man kleine Trupps von ihnen, wie sie Steine klopften, die 
Straßen verbesserten, Kies aufschütteten, pflasterten, Lasten trugen und sich sonst nützlich 
machten. Der wachthabende Landwehrmann hat wenig zu tun. Sie arbeiten offenbar 
gern, nicht gerade rasch, aber unverdrossen. Die militärische Disziplin ist ihnen in 
Fleisch und Blut übergegangen. So sind sie in den Krieg gezogen, ohne zu wissen, wofür 
sie kämpfen, so fügen sie sich in den Zwang der Gefangenschaft ohne zu murren. Und 
erstaunlich wie dieser Gleichmut der Russen ist die Tatkraft des deutschen Soldaten, der 
wie von selbst sich ihrer zu bedienen versteht. Der einfachste Landwehrmann ist von einer 
Bestimmtheit des Auftretens, von einer Sicherheit des Handelns, die den Gehorsam 
ohne Zwangsmittel zur Selbstverständlichkeit machen. Hier liegt das Geheimnis des 
deutschen Erfolges gegen einen viel zahlreicheren, gut ausgerüsteten und durchaus nicht 
feigen Feind." 
Alfons Paquet hat kurz nach der Schlacht die verlorenen russischen Stellungen vor 
Szawle besucht, und die Eindrücke, die er da gewonnen, in einem längeren Bericht über 
„die Schlacht vor Szawle" in der „Frankfurter Zeitung" folgendermaßen geschildert: 
„War nicht dieser in eiliger Flucht verlassene, von deutschen Granaten zerstörte Schützen 
graben wochenlang ein Stück der Grenze des großen Reiches gewesen? Er hatte nicht 
nur das Dorf Lepary zu schützen I Seine Linie scheint sich ins Unendliche fortzusetzen.
	        
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