Die große Offensive nördlich der unteren Weichsel bis zum Fall von Warschau 105
Acht Uhr abends traten wir den Marsch an und erreichten nach dreiviertel Stunden
— es dunkelte bereits stark — in Gegend Sille die K--B., der wir unterstellt waren.
Oberstleutnant von Wilms ordnete ihre Verbände und ging mit den Schützen an die
Handpferde. Oberstleutnant Jahn erhielt den Befehl, mit den drei Eskadrons des
Regiments, der Radfahrerkompagnie Jäger 1 unter Leutnant vom Heimburg und
Batterie Sulzberger der Brigade vorauszugehen. Der Vormarsch verzögerte sich, da
die Artillerie erst ihre Pferde tränken mußte, die den ganzen Tag über noch kein Wasser
bekommen hatten.
Kurz vor 10 Uhr abends wurde der Vormarsch angetreten. Etwa 1000 Meter
voraus fuhr die Jägerkompagnie. Ihr folgte als Vortrupp Rittmeister Merz mit
der ersten Eskadron, im Haupttrupp der Rest des Regiments mit der Batterie. Aus
derselben Straße traf das Regiment das Detachement v. Hahnström, bestehend aus
zwei Eskadrons, einem Geschütz, zwei Maschinengewehren und einer Funkerstation. Das
Detachement hatte den Auftrag, die Bahnlinie zu zerstören. Es unterstand unmittel
bar dem H. K. K. und war seit süns Tagen unterwegs.
Schweigend ritten wir durch die Nacht. Jeder Nerv war gespannt. Nach vorn
konnten wir ohne Bedenken sein, aber unsere Flanken waren bedroht, da es der Dunkel
heit wegen unmöglich war, mit Seitensicherungen zu marschieren. Gegen halb 12 Uhr
heftiges Gewehrfeuer vor uns! Ein Radfahrer kommt zurück: „Peterfeld von feind
licher Kavallerie besetzt." Die Jäger haben den Feind schnell hinausgeworfen, der 500
Meter südlich des Dorfes den Bahndamm besetzt hielt. Maschinengewehre sind bei ihm
erkannt. Von seiner neuen Stellung aus nimmt der Feind Peterfeld unter Feuer. Er
schießt zu hoch und die Geschosse schlagen aus unsere Marschstraße ein. Ein weiteres
Vorgehen ist zu Pferde nicht angängig. Wir sitzen ab und gehen zu Fuß vor. Ohne
Verluste wird Peterfeld erreicht, wohin auch schließlich ein Geschütz der Batterie vor
gezogen wird.
Das Detachement Hahnström war westlich ausgebogen und stand bei Urbi, so unsere
rechte Flanke deckend. Der Bahnübergang wurde von dem Geschütz unter Feuer ge
nommen. Gleichzeitig gingen rechts der Straße die Schützen der ersten und dritten
Eskadron, links die Jäger und die Schützen der zweiten Eskadron zum Angriff vor.
Die Führung der Schützen war Rittmeister von Walther übertragen. Der Gegner, der
anscheinend einen ernstlichen Angriff nicht erwartet hatte, zog sich auf Punte und die
vorliegenden Waldstücke zurück. Die Unseren besetzten den Bahndamm. Inzwischen
war auch das Detachement Hahnström wieder bei uns eingetroffen, das vom rechten
Weg nach Alt-Abgulden in der Dunkelheit abgekommen war, und hielt nun mit der
Spitze am Bahnübergang.
Da — nahen nicht Lichter von Osten her? Ein Zug erscheint aus Richtung Mitau.
Ihm wird ein warmer Empfang zugedacht. Er soll nur erst nahe genug herankommen!
Aber der Lokomotivführer ist aus dem Posten. Er scheint etwas bemerkt zu haben und
hält, um dann sofort mit voller Kraft zurückzufahren. Da entladet sich ein Höllenfeuer
über den Zug. Hahnströms Geschütz und Maschinengewehre eröffnen ein mörderisches
Feuer aus ihn, so daß unsere am Bahndamm liegenden Schützen schleunigst im Graben
Deckung nahmen und aus diesem feuern müssen. Schwer getroffen gelingt es dem Zug
doch, zu entkommen. Aber ganz erfolglos ist unser Unternehmen nicht gewesen. Im
Triumph bringen unsere Leute eineri russischen Unteroffizier an, der einer Eisenbahn-
. kompagnie angehört. Er war nach seiner eigenen Aussage vor Schreck aus dem offenen
Wagen herausgefallen. Im übrigen schien er über seine Gefangennahme nicht beson
ders betrübt zu sein. Er gab an, daß der Zug beabsichtigt habe, Stationseinrichtungen
weiter westlich zu zerstören.