34 Die Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl
In Mosciska waren wir in einem österreichischen Feldlazarett zu Gast. Mancherlei
wußten uns an der schnell hergerichteten Mittagstafel im Schulgarten neben der Kirche,
rings umgeben von frischen Russengräbern, die liebenswürdigen Doktoren zu berichten
und der prächtige Feldkaplan, der das Lazarett schon seit Kriegsbeginn durch alle Fähr
nisse des Feldzuges begleitet hatte. Aber das Beste war doch, daß sie uns in die
Krankenstube führten, wo mit manchem anderen auch schwerverwundete Deutsche liegen,
ein Posener, ein Danziger, ein Kolmarer und ein Berliner — alle vier mit Bauch
schüssen, aber schon über den kritischen sechsten Tag hinaus. Nie werde ich den glück
lichen Ausdruck in ihren bleichen Gesichtern vergessen, als der freundliche Regiments
arzt ihnen sagte, daß wir aus Deutschland seien und ihnen „guten Tag" sagen wollten.
Und als der Arzt dann hinzufügte, daß sie nun auch bald wieder nach Deutschland
kommen würden, und daß er hoffe, sie schon nach zwei Tagen in die Heimat weiter
schicken zu können, da lachte der Berliner wie ein Kind, und der Danziger fing so selig
an zu schluchzen, daß ich mich still davon machte, um mir draußen im dunkeln Winkel
die feuchten Tropfen von der Wange zu wischen.
Die Wiederaufnahme der Offensive gegen Lemberg und der Rückzug der Russen
Am 12. Juni 1915 war der Augenblick gekommen, in dem die Offensive der Ver
bündeten nach kurzer Unterbrechung weitergeführt wurde. Die zusammenfassende Dar
stellung aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 3. Juli 1915, deren erster Teil
bereits in Band VI, S. 189, veröffentlicht worden ist, berichtet hierüber: „Der Feind
hatte sich vor der deutschen Armee und vor den beiden an diese anschließenden öster
reichischen Armeen in starken Stellungen eingebaut, die durchbrochen werden mußten,
bevor die Offensive der Verbündeten in Richtung Lemberg vorwärts getragen
werden konnte. Am 12. Juni schritten unter dem Befehl des Generalobersten
v. Mackensen der linke Flügel der deutschen Armee und der daran anschließende rechte
Flügel der Armee des Erzherzogs Josef Ferdinand zum Angriff über Lubaczowka und
San hinweg in Richtung auf Sieniawa und die Höhen östlich davon. Der Feind hatte
sich jenseits der Lubaczowka auf gewohnte Weise in mehreren Schützengrabenreihen ein
gerichtet. Um 8 Uhr vormittags nahm die deutsche Infanterie den Lubaczowkabach,
vertrieb den Feind aus seiner ersten, bald darauf auch aus seiner zweiten Stellung und
ging dann gegen den Kolowkawald vor, während links davon deutsche und österreichische
Truppen die Höhe von Sieniawa in Besitz nahmen. Aus dem Kolowkawalde mit großer
Uebermacht herausbrechend, schritten die Russen zum abendlichen Gegenangriffe. Obwohl
sie diesen durch heftiges Artillerie- und Minenwerserfeuer unterstützten und von drei
Seiten zu gleicher Zeit anstürmten, wurden ihre sämtlichen Angriffe abgeschlagen und
in den Wald zurückgeworfen, wohin alsdann die Deutschen folgten. In dem aus
gedehnten Forste kam es in den nächsten Tagen zu schwierigen Waldkämpfen. Den
vordringenden Kompagnien traten überall kleine russische Trupps entgegen, die sich im
Walde geschickt eingenistet hatten. Auf Bäumen und hinter Astverhauen saßen russische
Schützen; auch Maschinengewehre waren verschiedentlich im Walde aufgestellt. Mitten
im Forste hatte der Feind Schanzen angelegt, die von Drahthindernissen umgeben und
durch Schützengräben untereinander verbunden waren. Der Angriff gegen diese Stellungen
war mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Im engsten Anschluß an österreichisch
ungarische Truppen, die gleichfalls in den Wald eingedrungen waren, gelang es, den
Angriff vorwärts zu tragen. Nachdem die feindliche Waldstellung durch Mörser- und
Minenwerserfeuer an einer Stelle erschüttert und sturmreif gemacht war, wurde sie
durchbrochen und nach Ost und Nord aufgerollt. Der Feind trat nunmehr den Rück
zug aus dem Walde an. Dies war am 16. Juni 1915.