Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

168 Italien und der Vatikan während der ersten Kriegsmonate 
wird, nicht als unterworfenes oder protegiertes Land, sondern in Sicherheit innerhalb 
seiner natürlichen Grenzen, zurückkehrt zu den fruchtbaren Arbeiten des Friedens, indem 
es, wie es dies immer getan hat, Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt hochhält. 
Da das Schicksal unserer Generation diese schreckliche und hehre Aufgabe zugewiesen 
hat, das Ideal eines Großitaliens zu verwirklichen, dessen Vollendung die Helden des 
Risorgimento nicht erleben konnten, so wollen wir denn diese Aufgabe mit unerschütter 
licher Festigkeit auf uns nehmen, bereit, dem Vaterland alles zu geben, was wir sind, 
und alles, was wir haben. Mögen vor den drei Farben, die im Lager bei der ge 
heiligten Person des Königs flattern, alle Fahnen sich neigen, mögen alle Geister sich im 
Glauben und in der Eintracht vereinigen. Dann werden wir siegen! Es lebe Italien! 
Es lebe der König!" 
Die Volkskundgebung am 6. Juni 1915 
Am Verfassungsseste, am 6. Juni 1915, fand, nach den Berichten der „Agenzia Ste- 
fani", zunächst auf dem Kapitol eine Feier zu Ehren Cavours statt, wobei Tapferkeits 
medaillen verteilt wurden. Auch Kronprinz Humbert war dabei anwesend; Vizebürger 
meister Apoloni hielt eine Huldigungsrede. Am Nachmittag versammelte sich gegen 
fünf Uhr auf der Piazza del Popolo eine Menge von etwa 200000 Menschen mit un 
zähligen Fahnen und etlichen Musikbanden, die alle die Mameli-Hymne anstimmten. 
Der Zug bewegte sich darauf unter Blumenregen und den Tönen der Nationalhymne und 
patriotischer Lieder gegen die Piazza Colonna. Beim Palazzo Chigi (der ehemaligen 
österreichischen Botschaft beim Quirinal) angelangt, brach die Menschenmenge, trotzdem 
die italienische Fahne gehißt war, in Pfeifen und Johlen aus. Desto größeren Enthusias 
mus entwickelte man vor der Redaktion des „Giornale d'Jtalia", aus deren Fenster eine 
schwarzgelbe Fahne hing, die aus einem verlassenen Gendarmerieposten an der Grenze 
„erbeutet" worden war und nun verbrannt wurde. Aus denselben Fenstern flog auch eine 
österreichische Militärkappe, die von einem Knäuel Soldaten heldenhaft zerrissen wurde. 
Der Enthusiasmus steigerte sich auf der Piazza Venezia und vor dem Denkmal Viktor 
Emanuels. Auf der „Piazza Quirinale" konnte der Zug nicht mehr weiter, da dorthin 
bereits von allen Seiten Volk zur Huldigung vor dem Quirinal geströmt war. So blieben 
die Menschenmassen unbeweglich stehen; der Königsmarsch wurde angestimmt, und enthusia 
stische Rufe: „Es lebe der König", „Es lebe die Königin", „Es lebe Savoyen" ausgebracht. 
Im Quirinalpalast waren alle Fenster geöffnet. Die Königinnen Elena und Mar- 
gherita, der Herzog von Genua, der Kronprinz und die Prinzessinnen mußten immer 
wieder auf dem Balkon erscheinen, um für die Begeisterungsstürme des Volkes zu danken. 
Schließlich ließ die Königin Elena, wie dem „Berliner Tageblatt" berichtet wurde, zwei 
Vertreter des Heeres und der Flotte, einen Artilleristen und einen Matrosen, neben 
sich treten, ergriff eine italienische Trikolore, schwang sie hoch und küßte sie mit Inbrunst. 
Das entfesselte bei den Massen ein solches Delirium, daß die königliche Familie den 
Balkon gar nicht mehr verlassen durfte. Als das Volk endlich müde ward und sich zu 
verlaufen begann, bestiegen die beiden Königinnen ein Automobil und fuhren mit dem 
kleinen Prinzen langsam mitten unter das begeisterte, ihnen von neuem zujubelnde Volk. 
Am Abend war ganz Rom glänzend beleuchtet. 
In der Menge waren alle Parteien Roms vertreten. Man sah Geistliche mit der 
Dreifarbenkokarde an der Brust neben jungen Republikanern und Gewerkschaftlern. Die 
Gregorianische Universität, die von Jesuiten geleitet ist, hatte auf ihrer Eingangstür 
über dem päpstlichen Wappen die italienische Fahne angebracht, was seit 1870 nicht ge 
schehen ist. Auch bei zahlreichen Palästen von Prälaten, Monsignori und Geistlichen 
war gleichfalls die italienische Fahne gehißt worden.
	        
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