Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

Italien und der Vatikan während 
der ersten Kriegsmonate 
Von Ende Mai bis Anfang August 1915 
Fortsetzung von Band VI, S.249 bis 318 
Die Stimmung des italienischen Volks 
Seit dem Kriegsbeginn sind in Italien alle Versammlungen und Straßenumzüge ver 
boten. Am Verfassungsfest hat man eine Ausnahme gestattet und in kleiner und 
schwacher Auflage hat Rom noch einmal durch Singen, Pfeifen und Johlen seinen Mut 
an Deutschland und Oesterreich-Ungarn gekühlt (vgl. S. 168). Sonst aber ist die Stim 
mung in ganz Italien eine ruhige, gesetzte geworden. Am flauesten ist die Stimmung 
auf dem Lande; wo nicht der Begeisterung tagtäglich durch die Presse nachgeholfen 
wird, wie in den Städten, mischt sich bereits eine merkbare Apathie in das Einerlei des 
Alltages. Die Hoffnung auf große Taten ist geschwunden. Das Volk labt sich an 
Einzelschilderungen tapferer Taten seiner Alpini und Bersaglieri. Es freut sich der 
Volkstümlichkeit und der Leutseligkeit seines Königs und liest von seinen Besuchen an der 
Front. Aber es hat den Ueberblick verloren und sieht kein Ende des Krieges mehr. 
„Ueberquellende Hoffnungen," so wurde der „Voßischen Zeitung" Mitte Juni 1915 
geschrieben, „setzte man auf das täglich in Aussicht gestellte Eingreifen Rumäniens, 
Bulgariens und bisweilen auch Griechenlands. Man belog sich gegenseitig über 
die Stimmung, wie es z. B. anläßlich einer „Demonstration des römischen Volkes für 
das lateinische Schwesterland Rumänien" geschah, an der kaum 200 halbwüchsige Burschen 
teilnahmen, die vor der rumänischen Gesandtschaft eine Lungenprobe ablegten, während 
sich der Gesandte Fürst Ghika auf dem Balkon grüßend verneigte, sich aber weigerte, 
die rumänische Fahne auszuhängen. Geradezu phantastisch war die Aufmachung der 
bezahlten Presse über den Weggang des bulgarischen Gesandten Rizow. Das „Giornale 
d'Jtalia" schrieb: „Der Eintritt Bulgariens in den Krieg an unserer Seite ist heute 
nunmehr eine Frage von Stunden". Was verschlug es, daß Rizow selbst diesem haar 
sträubenden Bluff in einer Erklärung entgegentrat. Das Volk wird nun einmal durch 
solche Mätzchen in der nötigen Stimmung zu erhalten gesucht." Nach der serbisch 
montenegrinischen Offensive in Albanien trat wachsendes Mißbehagen über die Haltung 
der Balkanstaaten hervor. Die Zeitungen wurden karger mit den Prophezeiungen eines 
unmittelbar bevorstehenden Eintretens Bulgariens und Rumäniens in den europäischen 
Konflikt. Man nannte den Balkan eine „Sphinx" und begnügte sich vorläufig mit 
diesem Schlagwort. 
Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse beeinflussen die Stimmung des italienischen 
Volkes stark. „Die wirtschaftliche Lage des Landes ist," wie der „Frankfurter Zeitung" 
Mitte Juli 1915 geschrieben wurde, „sehr schwierig geworden und legt besonders den 
unbemittelten Volksklassen und dem mittleren Bürgerstand harte Prüfungen aus. In 
Süditalien nimmt die Notlage in beunruhigender Weise zu, da dort außer der wachsen 
den Arbeitslosigkeit gewisser Berufszweige und der zunehmenden Teuerung mancherorts 
die ganze Ernte durch Stürme und Ueberschwemmungen zerstört wurde. In den Häfen 
an der Adriaküste wird nicht mehr gearbeitet. Die dortige Bevölkerung hat nicht ein 
mal das Notwendigste zum Lebensunterhalt. Verschiedentlich haben sich deshalb jene
	        
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