Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

294 Die Schweizerische Eidgenossenschaft während des ersten Kriegsjahres 
Sonntagsbeilagen von einem reichsdeutschen Verlag. Die „Neue Helvetische Gesellschaft" 
hat die schweizerische Zentralstelle dieser Blätter aufgekauft und „dafür gesorgt, daß 
nun Sonntag für Sonntag gute schweizerische Schriftsteller und Künstler zu ihrem Volke 
reden können." 
Deutsche und welsche Schweiz 
Ein gewisser Gegensatz bestand von jeher zwischen Deutsch- und Welschschweizern. Er 
äußerte sich besonders in der gänzlich verschiedenen Auffassung vom Staate. Dies zeigte 
sich deutlich bei der sog. Zensurdebatte in der Junitagung 1915 des Nationalrates 
(vgl. S. 299). Die Welschen verlangen eine viel weitgehendere Freiheit des Einzelnen 
im Staate als die Deutschschweizer, die eher bereit sind, im Interesse der Freiheit und 
Unabhängigkeit des Staates das Opfer der völligen persönlichen Ungebundenheit zu bringen. 
In ruhigen Zeiten sind solche Gegensätze nicht nur kein Unglück, sondern sehr zu be 
grüßen, denn nur sie vermögen einen Staat wie die Schweiz, der sozusagen keine äußere 
Politik treibt, vor der inneren Erstarrung zu bewahren. In den ersten Kriegsmonaten haben 
diese sonst harmlosen Unterschiede aber fast bedrohlichen Umfang angenommen; und zwar 
nicht nur, weil die einzelnen Landesteile sich natürlicherweise zu ihrem stamm- und sprach- 
verwandten Nachbarn hingezogen fühlten; eine Hauptschuld ist der Werbearbeit der aus 
ländischen Presse zuzuschreiben, die besonders durch Berichte von Greueltaten, die sich 
nachher in fast allen Fällen als grundlos, immer als ungeheuerlich aufgebauscht erwiesen, 
die Sympathien der Neutralen zu beeinflussen sucht. Niemals aber, und von keiner Seite, 
wurde die Stammesverwandtschaft über das Schweizertum gestellt. „Wir haben viel 
leicht," sagte Bundesrat Hoffmann, „zwei Köpfe; einen feinen romanischen Kopf und 
einen dicken, harten Germanenschädel, aber wir haben nur ein Herz, ein patrio 
tisches Herz!" 
Um neben dem schon früher dargelegten Standpunkt der Deutschschweizer (vgl. „Briefe 
aus der Schweiz", I, S. 134) auch den der Welschschweizer verständlich zu machen, 
mögen hier einige Zeilen aus einem Privatbriefe in Uebersetzung folgen: „Ich verstehe 
gewiß den Standpunkt der deutschen Schweiz; ihr redet die deutsche Sprache, ihr seid 
mit der deutschen Literatur aufgewachsen, euch hat (wie auch uns) die deutsche Musik er 
griffen, ihr habt Beziehungen aller Art, geistige, wirtschaftliche, persönliche, mit dem 
Deutschen Reich. Von Natur ernst und ordnungsliebend, bewundert ihr das Nüchterne 
und Solide, die Würde und die Organisation im deutschen Volke. Frankreich mit seiner 
parlamentarischen Regierungsform ohne Stetigkeit und ohne Vornehmheit, Frankreich mit 
seinen Dreyfuß- und Caillauxaffären, hat euch im Gegenteil abgestoßen. 
Aber wir wußten, daß Frankreich nicht da zu suchen war, wir sahen voraus, was 
jetzt gekommen ist, daß nämlich in der Stunde der Gefahr das ganze Volk sich einig 
und tapfer erheben würde. Mit Interesse verfolgten wir die Entwicklung der fran 
zösischen Jugend, die, noch vor 10 bis 15 Jahren zum größten Teil ganz sozialistisch 
und internationalistisch gesinnt, jetzt nach und nach zu tiefer Vaterlandsliebe zurück 
gekehrt ist. Wir wissen, daß der Revanchegeist seit 30 Jahren nicht mehr vorhanden 
war, und daß, während Deutschland mehr und mehr rüstete, Frankreich von Leuten wie 
Jaurss geblendet, die Macht der Sozialisten wachsen sah und 1905 die Dienstzeit von 
drei auf zwei Jahre verkürzte. Wie für euch die deutsche, so ist für uns die französische 
Literatur die Erzieherin, und die französische Kunst sagt uns mehr zu als die deutsche. 
Zu diesen ethischen Gründen gesellen sich noch politische und wirtschaftliche: Wie schon 
erwähnt, glauben auch wir, daß die Hegemonie eines einzelnen Landes in Europa für die 
Schweiz nicht günstig wäre. Nun leiden wir aber in der Schweiz bereits unter den Versuchen 
Deutschlands, uns wirtschaftlich zu unterdrücken (Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft ufw.),
	        
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