Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

164 D i e Ereignisse an der We st front von Mai bis Äugn st 1915 
von dem Schutt zu säubern. Da, wo die Brandbomben alles dem Erdboden gleich 
gemacht haben, sprießt zwischen den Pflastersteinen friedlich Gras empor, das neben 
der unheimlichen Stille, die in fast allen Straßen herrscht und die einem fast das 
Herz zusammenschnürt, das wichtigste Zeichen von der Verlassenheit und der Oede 
der Stadt ist. 
Mit dem Anblick der Stadt stimmt der Seelenzustand der Einwohner überein. 
Man weint nicht und lacht nicht in Reims. Man ist einfach ernst, im Hinblick auf 
die Gefahr, der man täglich ausgesetzt ist, und in dem Bewußtsein, daß man 
alle Willenskraft anstrengen muß, um einer nervösen Spannung, die nun schon zehn 
Monate anhält, zu widerstehen, und mit dem sicheren Gefühl, daß man morgen und 
alle folgenden Tage wieder beschossen werden wird. In einer solchen Stimmung kann 
man weder den Tränen noch dem Lachen Raum geben. Seit Reims sich in der Feuer 
linie befindet und ihr so nahe ist, daß man das Geschrei der anstürmenden Truppen 
vernehmen kann, ist es von dem übrigen Frankreich abgeschnitten. Briefe und Zeitungen 
bleiben in ChLlons liegen und kommen mit großer Verspätung an. Man muß sein Ge 
dächtnis ordentlich auffrischen, um sich zu erinnern, daß Reims einst ein Telegraphen- 
und Telephonamt und einen Bahnhof hatte. Die Wirkung der Beschießung, seit die 
Deutschen die Stadt fächerartig unter Feuer nehmen, ist furchtbar. Da aber die Be 
völkerung jetzt bedeutend weniger dicht ist, ist auch die Zahl der Opfer im Verhältnis 
zu den früheren Beschießungen geringer. Jene, die noch in der Stadt weilen, hegen 
Tag und Nacht nur den einen Gedanken: Jetzt endlich Reims zu verlassen. Seit 
Monaten nimmt die Zahl der Geburten ab, während die Todesfälle zunehmen, so daß im 
Juni 1915 im Standesamtsregister neun Geburten und 85 Todesfälle verzeichnet wurden. 
Während früher die deutschen Batterien zwischen den einzelnen Beschießungen größere 
Ruhepausen eintreten ließen und die Beschießungen zu ganz bestimmten Stunden statt 
fanden, sausen jetzt Tag und Nacht fast unaufhörlich Granaten in die Stadt." 
So war es wohl erklärlich, daß die französische Regierung nach einem Pariser Bericht 
der „Tribune de Gensve" unter dem Eindruck der fortdauernden Beschießung von Reims 
den Befehl zur völligen Räumung der Stadt erließ. 
Die Wahrheit über die Beschießung der Kathedrale von Reims 
Ohne sich um die bestimmten und unzweideutigen Erklärungen der deutschen Regie 
rung über die Notwendigkeit einer Beschießung der Kathedrale von Reims zu kümmern, 
fährt die französische Welt fort, jene sinnlosen und unberechtigten Anklagen gegen Deutsch 
land zu wiederholen, die nach der Beschießung der Stadt am 20. September 1914 der 
französische Minister des Auswärtigen erhoben hatte (vgl. II, S. 115). Der Ton und 
die Glaubwürdigkeit dieser Mitteilung richtete sich schon durch den Satz: „Zur jetzigen 
Stunde ist die berühmte Kirche nur noch ein Trümmerhaufen", eine Behauptung, die 
der Bericht der von dem Ministerium des öffentlichen Unterrichts ausgesandten Sonder 
kommission unter dem Vorsitz des Unterstaatssekretärs der scbönen Künste, M. Dalimier, 
schon nach wenigen Tagen dementieren mußte. Der Schmerz der französischen Kunst 
freunde über die Beschädigungen eines der erlesensten Denkmäler ihres Landes und 
auch die leidenschaftlichen Auslassungen von Einzelnen und Korporationen unter dem 
unmittelbaren Eindruck des Verlustes, ehe der Tatbestand zu übersehen war, sind er 
klärlich. Nicht entschuldbar aber ist es, diese Anklagen heute noch fortzusetzen, ange 
sichts vor allem der ausgedehnten Zerstörungen, die umgekehrt französische und englische 
Granaten an den französischen und belgischen Kunstdenkmälern der Westfront, ent 
sprechend der gleichen militärischen Notwendigkeit, haben Hervorrufen müssen. Nach einer 
Reihe von namenlosen Sonderveröffentlichungen, die keine Erwiderung verdienen, erschien
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.