Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

D i e Kämpfe im Abschnitt Lille—Arras 147 
Hof den deutschen Linien zu nahe lag, sich einen Notfriedhof vor der Stadt ein. Jeder 
gefallene Soldat oder Bürger erhielt seinen notdürftig gezimmerten Sarg, so daß nach 
dem Kriege die Ueberreste den Angehörigen übergeben werden können. Ganz besonders 
wichtig wurde allmählich der Feuerlöschdienst. Leider besaß die Stadt Arras keine Dampf 
spritze. Die Amtsgebäude enthielten nur zwei alte verstaubte Handspritzen." 
Arras ist denn auch bald nach Erios Besuch durch die gewaltigen Feuersbrünste, die 
nach der heftigen Beschießung vom 7. Juli 1915 ausbrachen, fast völlig zerstört worden. 
Immer neue Explosionen verhinderten jeden Versuch zur Eindämmung der rasch um- 
sichgreifenden Verheerungen. Die Reste der nicht rechtzeitig fortgeschafften englischen 
Heercsvorräte wurden vernichtet. Und die Artillerie der Verbündeten mußte nach 
der Zerstörung der Arraser Kathedrale mangels eines nützlichen Auslugpunkts eine 
andere Ausstellung erhalten. Die wenigen in Arras zurückgebliebenen Familien entflohen. 
Auch die Präfekturbeamten erhielten von der Militärbehörde den Auftrag, die Stadt 
zu verlassen. 
Der Berichterstatter des „Matin", der Arras darnach Ende 1915 besuchte, erzählt: 
„In der Stadt waltet das Schweigen. Man glaubt sich in einem riesigen Kloster. Aus 
der Ferne trägt der Wind das dumpfe Grollen der Schlacht herüber. Die Straßen sind 
öde, und stumm sind die Häuser. Und doch müssen noch Bewohner da sein, denn die 
Schornsteine rauchen. Die Schornsteine, das sind in diesen Zeiten die Kellerlöcher. 800 
von 25 000 Einwohner, meist alte Leute, waren nicht zu bewegen, sich von ihrer Scholle 
zu trennen. Bereits am Abend ihres Lebens, wollen sie sterben, wo sie geliebt, gelebt 
und gelitten haben. 
An einer Stelle scheinen uns die Häuser noch unversehrt. — „Treten sie ein," meint 
unser Führer. Wir schreiten über die erste beste Schwelle, nichts als Schutthaufen, 
unter denen zertrümmerte Möbelstücke sichtbar werden. Eine Granate ist hier geplatzt. 
Aber wo ist in Arras keine Granate geplatzt! Die Mauern, die noch stehen, sind Kulissen: 
sie täuschen über den Verfall im Innern. Und rieben diesen noch aufrechten, von Kugeln 
durchlöcherten Wänden gibt es Häuserreihen, die als Schutthaufen die Straße decken. 
Ein Chaos von Steinen, Höhlen, in denen das Grauen wohnt, leere, bröcklige Gerüste 
— und alles fällt der Vernichtung anheim. 
Auch das Leben hat sich hier verkrümelt, wie die Steine. Keine Bürger, selten nur 
ein Sicherheitsbeamter oder ein Soldat. In der Hauptverkehrsstraße sind die einzigen 
noch offenen Läden eine Bäckerei und eine Leihbibliothek, die phantastisch wirken inmitten 
dieser Welt von Ruinen. 
Fast unaufhörlich dauert das Bombardement und manchmal wird es furchtbar. An 
einem einzigen Tage hat man über 15 000 Granaten gezählt. Das Schmuckstück der 
Stadt, das Rathaus, das nicht seinesgleichen in Flandern hatte, ist jetzt nur noch eine 
in Grau und Schwarz ins Rote übergehende Ruine. Lange verweilen wir vor dem 
Rathaus, diesem todeswunden Baudenkmal, vor dem Kranz von zusammengeschossenen 
Häusern, die sich im Kreise darum gelagert haben, und finden eine ergreifende Schön 
heit in diesem fürchterlichen Zusammenbruch. Alle benachbarten Straßen sind unter 
Trümmern begraben, auch die beiden Plätze, die wegen ihrer stolzen Säulenhallen und 
der Spitzenarbeit ihrer Giebel berühmt waren, sind zu Krüppeln geschossen. Die 
Kathedrale ist nicht besser daran. Unter dem Feuer und Eisenhagel sind ihre Gewölbe 
zusammengeknickt. Die Bildsäulen und Glasfenster liegen in Scherben auf den Fliesen. 
Die Täuferkirche ist vom Erdboden rastert, der Palast Saint-Vaast in Flammen aus 
gegangen und mit ihm alle die kostbaren dort aufbewahrten Archive. 
Alles, was der Krieg nur Böses antun kann, hat Arras in dieser Zeit seiner Be 
lagerung, die einzig in der Weltgeschichte dasteht, erdulden müssen."
	        
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