Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

136 Die Ereignisse an der Westfront von Mai bis August 1915 
Aus dem ersten Teil der Schlacht von La Bassee und Arras 
Nach englischen Berichten. 
Die englische Schlappe bei Neuve-Chapelle am 9. Mai 1915 
Aus dem Brief eines Augenzeugen, der den Kämpfen bei Aubers am 9. Mai 1915 
beigewohnt hat, ist die außerordentliche Schwere dieser blutigen und verlustreichen eng 
lischen Niederlage zu ersehen. Die „Daily Mail", die diesen Bericht veröffentlicht, 
tröstete ihre Leser allerdings mit der Versicherung, daß erst durch die heldenmütigen An 
griffe der Engländer die französischen Erfolge bei Careney und Ablain ermöglicht 
worden seien, was aber nur aufs neue die Tatsache bestätigt, daß der geringfügige fran 
zösische Erfolg mit unverhältnismäßig großen Opfern erkauft worden ist. 
„An einem Teil der Front," so berichtet der englische Teilnehmer an den Kämpfen, 
„südlich der neuen Linie bei Neuve-Chapelle sah ich in der frühen Morgendämmerung des 
9. Mai die Bataillone lautlos in die vordersten Laufgräben einziehen. Es ist zuviel 
gesagt, wenn man diese Verschanzungen Gräben nennt, denn der Boden macht es un 
möglich, tief zu graben, da man schon in einer Tiefe von ein bis zwei Fuß Wasser an 
trifft und der Graben zu einem kleinen Kanal wird. Deshalb wird nur ein bis zwei 
Fuß tief gegraben und Deckung hinter einer Brustwehr von Sandsäcken gesucht. Meilen 
weit ziehen sich diese Gräben hin, und Millionen von Sandsäcken sind teils der Länge, 
teils der Breite nach aneinander gereiht. Blickten wir von unserem vordersten Graben 
rückwärts, so konnten wir nichts von dem lebhaften Treiben, von den Truppenmassen 
sehen, mit denen die Unterstützungs- und Reservegräben vollgepfropft waren — nichts 
als die Wälle der gelblich-braunen Sandsäcke, die im warmen Sonnenschein hinter 
uns lagen. 
Gegen 5 Uhr morgens fingen zwei britische Batterien an, gemächlich und in großen Zwischen 
räumen zu feuern. In ungefähr 10 Minuten raffte sich eine deutsche Batterie auf und 
bellte als Antwort aus die Geschütze der „Terrier" (ein englischer Spitzname für Terri- 
torials) zurück. Die Granaten der Territorials pfiffen und sausten über unsere Köpfe hinweg, 
die deutsche Antwort kam aus den Feldgeschützen — Kanonen mit flacher Schußbahn und 
großer Geschwindigkeit. Die Geschütze der Territorials setzten ihr schwaches Feuer noch 
ungefähr fünf Minuten lang fort, worauf die gesamte Artillerie auf einer Front von 
mehreren Meilen mit furchtbarem Donner einsetzte. Es war eine Wiederholung von 
Neuve-Chapelle in größerem Maßstabe. Feldgeschütze, Haubitzen, schwere und Belage 
rungsstücke fielen in den furchtbaren Chor ein, der die lachende Frühlingslandschast von 
Grund aus erschüttern ließ. Die Granaten schossen krächzend und zischend über uns 
hinweg und die deutschen Linien waren bald in weiße, schwarze, grünliche und gelbe 
Rauchwolken gehüllt. 
Die Deutschen hatten sehr rasch den Zweck der Beschießung erkannt, sie verstanden sofort, 
daß ein Angriff bevorstand, daß alle unsere Gräben und Barrikaden mit Truppen voll 
gepfropft waren. Mit einzelnen Geschützen und ganzen Batterien stimmte ihre Artillerie 
in den Höllenchor ein und bald krachten ihre Granaten inmitten unserer Brustwehren 
und der Infanterie, die des Befehls zum Angriff harrte. 
Eine halbe bis dreiviertel Stunde lang bearbeiteten die britischen Granaten die 
deutschen Linien, und die vorderste Brustwehr schien unter dem anhaltenden Feuer zu 
sammenzustürzen; aber die Barrikaden waren sehr stark gebaut, und als die Geschütze 
ihr Feuer weiter rückwärts richteten, waren noch immer Befestigungen da, die von der 
Infanterie angegriffen werden mußten. Niemand zögerte, als die Zeit gekommen war. 
Mit einem Male belebte sich die britische Brustwehr mit kletternden Khakigestalten, die 
offene Fläche zwischen den beiden Linien füllte sich mit stürmenden Soldaten, die in aus 
gelöster Linie geradenwegs auf die deutsche Brustwehr zuliefen. Bis jetzt hatte es wenig
	        
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