Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Die Ereignisse an der Westfront 
Von Mai bis August 1915 
Fortsetzung von Band V, S. 1 bis 218 
Vom deutschen Soldaten im Felde 
„Es ist eine merkwürdige Parallele in den Forderungen der Religion und der Schlacht. 
Beide fordern den ganzen Menschen. Wenn diese Forderung erfüllt wird, ereignet 
sich das Wunder des Schlachtfeldes, daß der Mensch, der erst einmal gelernt hat, mit 
seinem Leben zu dienen und es als Opfer zu betrachten, die höhere Kraft erreicht", 
so sprach Hosprediger Lic. Doehring in einem Vortrage im Dome zu Berlin, in dem er 
die unvergeßlichen Eindrücke schilderte, die er bei seinen Besuchen an der Front vom 
Seelenleben der deutschen Soldaten mit nach Hause brachte. Und er fuhr fort: 
„Der Soldat ist losgelöst von den Seinigen, von Haus und Herd, und doch desto 
innerlicher mit ihnen verbunden. Er ist ein fröhlicher Mensch und hat doch ein ver 
steinertes Angesicht; denn er hat den Tod gesehen. Er ist stetig in Gemeinschaft und 
doch allein; sinnend steht er zu den Sternen, zu denselben, nach denen auch die Augen 
der Seinigen blicken. Er herzt die Kinder in Feindesland, teilt mit den Hungrigen sein 
Brot, tröstet wohl auch das einsame Weib, und doch: wenn ihm der Vater und Gatte 
dieser Familie als Feind gegenübertritt, tötet er ihn. Er ist ein frischer Mensch und 
doch wieder todmüde. Alles, was eine Menschenbrust empfinden kann, wohnt in gewal 
tiger Symphonie aus dem Schachtfelde nebeneinander. Auf die Dauer aber sind diese 
ungeheueren Spannungen unerträglich. Es bedarf einer Zusammenfassung. Dieses Zu 
sammenfassende sind nicht Theorien, philosophische Meinungen, Weltanschauungen. Wenn 
man die Soldaten hat stürmen sehen, begreift man das. Kraft allein brauchen sie. 
Die Analyse der Bedürfnisse eines Kämpfers ergibt genau das, was Voraussetzung für 
Religion ist. Was Wunder, wenn man da immer wieder hört, daß auch die sonst Gleich 
gültigen, ganz vorsichtig ausgedrückt, religiös nicht abgeneigt sind. Was Wunder, wenn 
man nach Religion greift, so doch Religion Kraft ist." 
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Dr. Erich Everth, ein Kriegsteilnehmer, der, psycho 
gisch geschult, in einer überaus lesenswerten, als Heft 10 der Tat-Flugschriften bei 
Eugen Diederichs in Jena erschienenen Schrift „Von der Seele des Soldaten im 
Felde", das Leben an der Front, seine äußeren Ursachen und inneren Folgen be 
handelt. Einzelne Bruchstücke dieses Buches mögen hier folgen: 
„Der Wille ist nicht nur an den Leistungen, sondern schon an der Gesundheit des 
Körpers beteiligt. Wie der Körper aus die Stimmung, so wirkt der Wille auf den Körper 
ein. Der Wille spielt ja in diesem wie in jedem Urzustand überhaupt eine große Rolle, 
wogegen das sonstige Seelen- und Geistesleben in seinen Ansprüchen und seiner Ent 
faltung notwendig beeinträchtigt wird. So stellt sich nun anscheinend das ganze psycho 
physische System im Feld sofort auf die Notwendigkeit ein, Zumutungen zu ertragen, 
die auch sonst für Kulturmenschen nicht erträglich sind; und dann werden sie erträglich. 
Unbewußt setzt man seine Erwartungen und Anforderungen gleich so herunter, daß eine 
Enttäuschung kaum möglich ist: und das scheint auch die Anpassung des Körpers zu 
erleichtern. Man haust, wenn der Angriff vorgetragen wird, kalte Nächte lang in 
frischen Erdlöchern, mangelhafter als die Troglodyten, kein Stroh oder Holz unter sich, 
dafür aber strömenden Regen von oben; man glaubt vielleicht um vier oder fünf Uhr 
morgens, ehe die Feldküchen mit dem Kaffee kommen, nicht eine halbe Stunde mehr 
auszuhalten, bis man das heiße Getränk im Leibe habe; dann kommen die Kaffeeholer
	        
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