Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

46 Das Deutsche Reich während des zweiten Kriegshalbjahres 
sie zu entbittern und als Lupinenflocken zu haltbarem Dauerfutter fabrikmäßig zu ver 
arbeiten, ferner die Roßkastanie (Kastanienflocken) und der Comsrey (für die Schweine 
zucht). Als neues Düngmittel trat der aus der Luft gewonnene Stickstoff in den 
Vordergrund. Der fehlende Chilesalpeter war dadurch ersetzt. 
In der Industrie mußte man sich nach Ersatzmitteln für Kupfer und Messing um 
sehen. Man fand schließlich, daß geschmiedetes Eisen mit nur etwas Kupfer- und Zink 
gehalt, einer besonderen Behandlung unterzogen, bis zu einem hohen Grade Kupfer und 
Messing zu ersetzen vermag. An die Stelle des mangelnden Benzins trat das Benzol, 
und für gewisse besondere Zwecke, für die man nur Benzin gebrauchen konnte, wurden 
zwei synthetische Prozesse ausgearbeitet. Für die Bearbeitung von Schießbaumwolle 
wurde mit Erfolg anstatt Baumwolle gewöhnliche Zellulose verwendet. In der elektro 
technischen Industrie wurden bei dem knapp werdenden Gummi die bisherigen Gummi 
isolierungen aus Papier hergestellt. Das Papier begann überhaupt als Ersatzmittel 
mehr und mehr herangezogen zu werden. Es wurde nicht nur für Wundwatte ver 
wendet, sondern auch zum Weben und Spinnen benutzt. Als Ersatz für die Schmieröle 
bewährte sich an zahlreich vorgenommenen Versuchen die Melasseschmierung an Maschinen. 
Auch auf dem Gebiete der künstlichen Heizöldarstellung liegen bereits beachtenswerte 
Versuche deutscher Industrieller vor. Dagegen ist die Zusammensetzung künstlichen 
Kautschuks noch nicht abgeschlossen, aber auf gutem Wege. 
Der Krieg hat nicht nur an den deutschen Militarismus und an das deutsche Wirt 
schaftsleben, sondern, wie wir sehen, auch an den deutschen Erfindergeist die höchsten 
Anforderungen gestellt. 
Die deutsch-österreichische Wirtschaftsannäherung 
Von der großen nationalen Welle, die auf die Stärkung deutschen Selbstbe 
wußtseins und deutschen Wesens hinauslief, blieben auch Handel und Gewerbe 
in ihrem Verhältnisse zum Auslande nicht unberührt. Der wirtschaftliche Chauvinismus, 
der sich im feindlichen Auslande die Diskreditierung und Verdrängung der deutschen Waren 
zum Ziel setzte, übte eine starke Rückwirkung in Deutschland aus. Hatten die deutschen 
Waren früher vielfach, um schneller einzudringen und größeren Absatz zu finden, ihre 
Herkunft verleugnet und waren sie unter falscher fremdländischer Flagge gesegelt (man denke 
an: made in Germany), so ging man jetzt, umgekehrt, zu einer scharfen Bekämpfung 
aller Fremdtümelei im Warenverkehr vor. Es entstand zu diesem Zwecke 
ein großer Verband, der sich „Deutsche Arbeit" nannte. Er will nicht die urteils 
lose Verdrängung aller Auslandserzeugnisse, sondern die gerechte Würdigung gleichguter 
oder besserer Inlandsware bezwecken. Um auch die deutschen Abnehmerkreise zu einer 
nationalen Auffassung zu erziehen und sie abzuhalten, ausländische oder ausländisch 
scheinende Waren zu bevorzugen, rief er eine Wanderausstellung „Deutsche Waren 
unter fremder Flagge" ins Leben, wobei er alles minderwertige grundsätzlich 
ausschloß. Zu einer Zeit, als noch die Vorbereitungen dazu im Gange waren, ver 
anstaltete man in Leipzig bereits während der Ostermesse eine Ausstellung „Ersatz für 
Waren aus Feindesland", die in weiten Kreisen einer regen Anteilnahme begegnete. 
Auch die Behörden griffen in diesen deutschen Wirtschaftskrieg gegen die Fremdtümelei 
ein. Auf Veranlassung der Generalkommandos der einzelnen Armeekorpsbezirke machten 
die Polizeiorgane in den einzelnen Städten und Gemeinden gegen die Fremdwörter aus 
den Firmenschildern und in den Schaufenstern Front. Daß es dabei zu mancherlei 
Uebertreibungen kam, darf nicht unerwähnt bleiben. 
Wie der Krieg in dieser Weise umwälzend auf das wirtschaftliche Verhältnis Deutsch 
lands zum feindlichen Ausland einwirkte, so trat auf der andern Seite eine starke
	        
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