Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Italiens Entschluß zum Kriege; von Anfang Mai bis zum 21. Mai 1915 293 
Nein, nein, wir wollen nicht, wir wollen nicht ein Museum sein, ein Gasthof, eine 
Sommerfrische, ein mit Preußischblau übermalter Horizont für die internationalen Honig 
monde, ein Liebesmarkt, wo man kauft und verkauft, feilscht und betrügt. Unser Genius 
ruft uns, um unseren Stempel auf die umgegossene und verworrene Masse der neuen 
Welt zu drücken. Ueber unseren Himmel zieht wieder jener Hauch, der in den wunder 
vollen Terzinen atmet, in denen Dante den Flug des römischen Adlers darstellt, o Bürger, 
den Flug eures Adlers! 
Möge Roms Kraft endlich die Tische der Feilscher und der Fälscher umwerfen und 
möge Rom auf dem Forum den cäsarischen Wagemut wieder finden! Der Würfel ist 
gefallen, der Würfel ist geworfen auf den roten Tisch der Erde. Das Feuer der Vesta, 
o Römer, sah ich gestern brennen in den großen ligurischen Stahlwerken, in den 
Schmieden, die Tag und Nacht ohne Unterlaß glühen; das Wasser der Juturna, 
o Römer, sah ich gestern fließen, um Platten zu härten, um die Spitzen zu kühlen, 
welche die Seelen der Kanonen bearbeiten. 
Italien waffnet sich, und nicht zum Paradespiel, sondern zum ernsten Kampf. Allzu 
lange hört es das Seufzen derer, die dort unten an Leib und Seele hungern, Schimpf 
und Schande und alle Qualen erdulden. 
Jetzt sind es 55 Jahre, an diesem Abend, gerade in dieser Stunde, daß die Tausend 
einschliefen, um beim Morgenrot zu erwachen, um vorwärts, immer vorwärts zu ziehen, 
nicht gegen das Schicksal, sondern dem Schicksal entgegen, das für sie mit dem Tages 
licht in eine einzige Schönheit zusammenfloß. 
Möge Rom morgen erwachen in der Sonne seiner Schicksalsnot und den Ruf seines 
Rechtes, den Ruf seiner Gerechtigkeit, den Ruf seiner Ansprüche erschallen lassen vor 
der ganzen Erde, die auf Rom wartet, verbündet gegen die Barbarei. 
„Wo ist der Sieg?" fragte der jugendliche Dichter*), der unter euren Mauern fiel, 
während er sich sehnte, auf den Ostalpen vor dem Oesterreicher sterben zu können. O 
Jugend Roms, glaub an das, was jener glaubte, glaub vor allem und mehr als alle, 
trotz allem und allen zum Trotze, daß Gott wirklich den Sieg zum Sklaven Roms ge 
schaffen. Wie es römisch ist. Starkes zu vollbringen und zu dulden, so ist es römisch, 
zu siegen und im ewigen Leben des Vaterlandes zu leben. 
Fegt also allen Schmutz hinweg, schafft in die Kloake alle Fäulnis! 
Es lebe Rom, ohne Schande, es lebe das große und reine Italien!" 
Inzwischen spielten sich in der Umgebung des Theaters ernste Szenen ab. Die Menge, 
welche im Theater keinen Platz gefunden, suchte nach der Via Cavour vorzudringen, 
um vor der Wohnung Giolittis eine feindliche Kundgebung zu veranstalten. Auf der 
Höhe der Via Viminale wurde sie aber von einem Angriff der berittenen Karabinieri 
überrascht, die im Galopp heranstürmten und alles niedersäbelten. Ein Schrei der Ent 
rüstung über diesen „brutalen Angriff" brach los. Steine flogen. Weitere Attacken 
folgten. Da warf die Menge die großen Starkstromhängelampen ein, und im Nu 
wurde quer durch die Via Viminale aus Tischen, umgestürzten Karren, Leitern, Pflanzen 
kübeln, später auch aus Steinen einer eilig niedergerissenen Mauer eine Barrikade ge 
bildet, während sich die Kavallerie nach der Via Firenze zurückzog. Teilweise war die 
Barrikade zwei Meter hoch und nach allen Regeln der Kunst ausgeführt. Bis Mitter 
nacht blieb die Stellung in den Händen der Demonstranten. Die Truppe begnügte sich, 
diese allmählich zu umzingeln. Endlich drangen Polizisten und Karabinieri vor und in 
der Dunkelheit kam es zu einer fürchterlichen Balgerei. Steine flogen, Revolver 
schüsse wurden gewechselt. Der angerichtete Materialschaden war bedeutend. Auch in 
*) Goffredo Mameli, der Dichter des vaterländischen Liedes „Brüder Italiens".
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.