Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Italiens Entschluß zum Kriege von Anfang Mai bis zum 21. Mai 1915 287 
Doch dieser konnte vor Rührung nicht reden. Damen überreichten ihm Blumen. In Genua 
waren große Vorbereitungen getroffen worden; Vertreter der Regierung, des Parlaments, 
der Stadt und der Vereine empfingen ihn am Bahnhof. In den Straßen drängte sich 
eine so große Menge, daß das Automobil d'Annunzios kaum zum Hotel gelangen konnte. 
Gabriele d'Annunzio, der eigentlich Rapagnetta (Rübchen) heißt, wurde 1864 an Bord der 
„Irene" bei einer Adriaüberfahrt geboren und in Francavilla bei Pescara aufgezogen. Der außerordentlich 
frühreife Knabe hat bereits mit 15 Jahren Verse gemacht, die in einem Bändchen „Primo Vere" 
gedruckt erschienen, besuchte 1873—1880 das Kollegium in Prato und beeilte sich dann nach Rom 
zu kommen, wo er bald erklärtes Oberhaupt der „Cronica Byzantina" wurde, einer Künstlervereinigung, 
die alles Alte in der Kunst lächerlich machte. Diese seine römischen Jahre reihten sich zu einer Kette 
der zügellosesten Ausschweifungen. Seine lyrischen Erstlinge „Canto novo“ und „Intermezzo di 
Rime u fanden zwar wegen ihrer Formenschönheit Beifall, erregten aber wegen ihres Inhalts Empörung. 
Seine dann folgenden Novellensammlungen und Romane sind Bucherfolge, die auf die Sensationslust 
des italienischen Publikums eingestellt waren. „Der bis zur Vollendung emporgeschraubte Kultus 
der italienischen Sprache, den d'Annunzio als Verkörperung des lateinischen Wesens anspricht, ver 
anlaßte ihn, zu behaupten, das deutsche Wesen hätte nur in der Musik, und zwar in jener 
Richard Wagners, vollkommen Ausdruck gefunden, und verleitete ihn," wie Adolf Hans Walter 
in der „Kölnischen Zeitung" ausführt, „zum Trugschluß, das lateinische Wesen stünde also auf höherer 
Kulturstufe als das germanische. Er bemühte sich, die Renaissance des Lateinertums über das 
mediceische Zeitalter in das überfeinerte Aesthetentum der letzten Tage vor dem großen Krieg über 
zuleiten und gelangt endlich zu seinem Ideal des Uebermenschen, dem kein Gesetz gelten soll außer der 
Befriedigung seiner Naturtriebe, dessen erste und letzte Aufgabe in restlosem Aufgehen im Genuß besteht. 
„Le Yergini delle Rocce“, der Roman, dessen düstere und weltschmerzliche Stimmungen tatenloser 
und geistesgestörter Menschen in nicht endenwollenden Zwiegesprächen die letzte Hoffnung auf den 
ernsthaften Dichter d'Annunzio verneinen, hat ihn wohl endgültig auf das agitatorische Gebiet ver 
wiesen. Und bald ist er sich seines Einflusses so sicher, daß er selbst, ein Held und Schöpfer eines 
neuen hochherrlichen Kulturideals, zum Volke spricht: Dem Wissenden ist alles erlaubt! Dieses 
Volk aber, die größere Masse der Italiener, ist der Entwicklung des Dichters gar nicht gefolgt. Es 
schrie gewohnheitsgemäß zu jedem seiner oratorischen Griffe nach den Sternen der größeritalienischen 
Zukunft bravo, las seine Werke wenig und besah sich noch weniger seine Stücke. Außer dem 
Künstlerdrama „Gioconda“, das die Düse durch ihre hohe Kunst über den mittelmäßigen Kaffen- 
erfolg hinaushob, sind alle seine späteren Arbeiten nicht aufgekommen, „La Gloria" wurde ge 
radezu abgelehnt. 
Eine letzte Möglichkeit, die erstrebte Unsterblichkeit zu erringen, die Verherrlichung des Jrredentismus, 
war ihm noch übrig. Doch der Versuch mit „La Nave“ erwies sich nicht als einträglich. Die Zeit 
war damals noch nicht reif genug gewesen. So schien seine himmelstürmende Laufbahn in Paris, 
wo er die Gunst und Unterstützung einer Dame der Halbwelt genoß, rühmlos versanden zu sollen. 
Da kam endlich, spät zwar, aber heiß ersehnt, der Weltkrieg, der die jahrelangen Bemühungen um 
den Fang der leichtgläubigen italienischen Volksseele in barer Münze lohnte." 
Zur Enthüllung des Garibaldi-Denkmals in Quarto am 5.Mai 1915 waren ungeheure 
Menschenmengen aus ganz Oberitalien zusammengeströmt. Senat und Kammer waren 
durch Abordnungen vertreten; von größeren Städten hatten Rom, Neapel, Florenz, 
Venedig, Pisa ihre Bürgermeister entsandt. Schon am frühen Morgen begann, nach 
dem Bericht des „Berliner Tageblatts" eine Völkerwanderung nach dem Felsen von 
Quarto, der fünf Kilometer von der Stadt entfernt an der Küste liegt. Zahlreiche Fest 
schiffe, mit Menschen dicht bepackt und mit bunten Wimpeln geschmückt, fuhren vom 
Genueser Hafen ab und legten sich dem Denkmalsplatz gegenüber vor Anker, wo sie 
während der Feier blieben und als Tribünen dienten. Die Eisenbahndirektion hatte viele 
Extrazüge eingelegt. Schließlich gingen zwei große Festzüge zu Fuß von der Stadt 
Genua nach Quarto; über ihren dunklen Menschenmassen flatterten Fahnen und in 
ihnen leuchteten die roten Hemden der Garibaldiner. Auch die gesamte Freimaurerei 
Italiens mit 400 Bannern beteiligte sich am Feste.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.