Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

274 Italien und der Vatikan bis zum Ausbruch des italienischen Krieges 
Etschtal würde die Grenze bis Lavis gehen, das bei Italien bleiben würde. Dagegen 
sollte Italien wohlwollende Neutralität bis zum Friedensschluß zusichern und Oesterreich- 
Ungarn für die Kriegsdauer volle Aktionsfreiheit am Balkan zugestehen. Erst auf 
wiederholtes Drängen gab Italien am 10. April Gegenvorschläge bekannt, die tatsächlich 
maßlos waren und nach dem italienischen Grünbuch folgendermaßen formuliert 
waren: Die absolute Preisgabe des Trentino auf Grund der im Jahre 1811 festgesetzten 
Grenzen, d. h. mit Einschluß des weit außerhalb des italienischen Sprachgebiets liegen 
den urdeutschen Bozen, eine Grenzberichtigung zugunsten Italiens am Jsonzo mit Ein 
schluß von Görz und Gradiska und Monfalcone, die Umwandlung Triests mit seinem 
bis an die Jsonzogrenze vorgeschobenen Hinterland nebst Capodistria und Pirano in 
einen unabhängigen Freistaat, die Abtretung der Curzolari-Jnselgruppe mit Lissa, Lesina, 
Curzola, Lagosta, Cazza und Meleda. Alle diese Abtretungen sollten sofort vollzogen 
und die aus den abgetretenen Landesteilen stammenden Angehörigen der Armee und 
Marine sofort entlassen werden. Ferner beanspruchte Italien die volle Souveränität 
über Balona und Saseno mit Hinterland und völliges Desinteressement Oesterreich- 
Ungarns in Albanien. Hiergegen bot Italien eine Pauschalsumme von 200 Millionen 
Lire in Gold als Ablösung aller Lasten und die Uebernahme der Verpflichtung an, 
während der ganzen Dauer des Krieges neutral zu bleiben. Auf Geltendmachung von 
weiteren Kompensationsforderungen aus dem Artikel 7 des Dreibundvertrages wolle es 
für die Dauer des Krieges verzichten und erwartete von Oesterreich-Ungarn einen gleichen 
Verzicht in bezug auf die italienische Besetzung der Inseln des Dodekanesos. 
Trotz der Maßlosigkeit der Forderungen Italiens, die zum Teil Ansprüche enthielten, 
die geradezu eine Negation der wichtigsten Lebensinteressen der Monarchie bedeutet 
hätten, war Oesterreich-Ungarn zu weiterem Entgegenkommen bereit. Gleichwohl entschloß 
sich das Kabinet Salandra, ohne aus ein letztes Angebot Oesterreich-Ungarns zu warten, 
Baron Burian durch den italienischen Botschafter in Wien, den Herzog von Avarna, am 
4. Mai 1915 die nachstehende Erklärung überreichen zu lassen: 
„Das Bündnis zwischen Italien und Oesterreich-Ungarn hat sich von Anfang an als 
ein Element der Bürgschaft für den Frieden bewährt und hatte zuerst das Hauptziel 
gemeinsamer Verteidigung. Angesichts weiterer Ereignisse und der neuen Lage, die sich 
aus ihnen ergeben, mußten die Regierungen der beiden Länder sich ein anderes, nicht 
minder wichtiges Ziel stecken und richteten im Laufe der auseinander folgenden Er 
neuerungen des Vertrags ihre Aufmerksamkeit darauf, die Kontinuität ihres Bündnisses 
zu erhalten, indem sie dem Grundsatz vorgängiger Vereinbarungen bezüglich der Balkan 
verhältnisse festlegten in der Absicht, die auseinandergehenden Interessen und Bestre 
bungen der beiden Mächte miteinander in Einklang zu bringen. Es ist einleuchtend, 
daß diese Abmachungen, wenn loyal beobachtet, genügt hätten, eine haltbare Grundlage 
für eine gemeinsame fruchtbare Aktion abzugeben. Im Gegensatz hierzu stellte Oester 
reich-Ungarn im Laufe des Sommers 1914, ohne irgend ein Einverständnis mit Italien 
zu treffen, ja ohne ihm die geringste Benachrichtigung zugehen zu lassen und ohne sich 
irgendwie durch die Ratschläge zur Mäßigung beeinflussen zu lassen, die ihm durch die 
Kgl. Regierung gegeben worden waren, am 23. Juli Serbien das Ultimatum, das die 
Ursache und der Ausgangspunkt des augenblicklichen Kriegsbrandes in Europa wurde (vgl.I, 
5. 4). Indem Oesterreich-Ungarn die Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag ergeben, 
vernachlässigte, brachte es den status quo auf der Balkanhalbinsel von Grund aus in Ver 
wirrung und schuf eine Lage, von der es allein Nutzen haben mußte, zum Schaden der 
allerwichtigsten Interessen, die sein Verbündeter so oft (als die seinen) betätigt und 
proklamiert hatte. Eine so flagrante Verletzung des Buchstabens und des Geistes des 
Vertrags rechtfertigte nicht nur die Weigerung Italiens, sich in dem ohne Einholung
	        
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