Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

266 Italien und der Vatikan bis zum Ausbruch des italienischen Krieges 
Es ist daher wohl erforderlich, zunächst kurz darzulegen, was Italien im Ori ent 
wünscht, und dann anzudeuten, was es auf dem Balkan beabsichtigt. 
Vor allen Dingen erstrebt Italien den endgültigen Besitz des „Dodecanesos", also der zwölf 
früher türkischen Inseln des ägäischen Meeres, die sich seit Mai 1912 unter italienischer 
Besatzung befinden und die Italien aus Grund der Bestimmungen des Friedens von 
Lausanne der Türkei bisher noch nicht zurückgegeben hat, auch deshalb nicht, weil die 
Türkei diese Besatzung während der Balkankriege als nützlich empfand, da sie Griechen 
land an einem bewaffneten Angriff auf diese von den Italienern in Beschlag genommenen 
Inseln hinderte. Italien wünscht ferner, daß ihm in Kleinasien in dem Vilajet Adana 
und namentlich im Hinterland des Hafens von Adalia eine Handels- und Einflußsphäre 
vorbehalten werde, die Italien bereits seit dem Frühjahr 1914 zielbewußt anstrebt und 
die die Rechte der andern Großmächte in Kleinasien nicht beeinträchtigen würde. Dar 
über hinaus wünscht Italien eine Sicherung seiner Kolonien in Afrika, einerseits 
durch das vollständige Unterbleiben jeder Förderung des Eingeborenen-Widerstandes 
von seiten anderer Mächte, andererseits durch eine bisher von ihm vergeblich an 
gestrebte umfassende und sichernde Grenzbereinigung, sowohl nach der Seite von Tunis 
als von Aegypten her. 
Die nach dem Eintritt der Türkei in den Krieg in Rom verbreitete Erklärung, daß 
man in Konstantinopel alle Schritte tue und tun werde, ein Uebergreifen der islamitischen 
Bewegung auf Libyen zu verhindern, und die Italien von der Türkei am 24. November 
1914 gegebene Versicherung, daß der Suezkanal geöffnet bleibe (vgl. IV, S. 235), 
hatten den Kriegshetzern und Ententesreunden zunächst die Möglichkeit genommen, mit 
der panislamitischen Gefahr Propaganda für die Notwendigkeit einer Kriegsbeteiligung zu 
treiben. Daran vermochte auch der Zwischenfall von Hodeida nichts zu ändern. Hier 
waren in der Nacht des 11. November 1914 türkische Gendarmen in das italienische Kon 
sulat eingedrungen und hatten den englischen Konsul, der sich dahin geflüchtet hatte, fest 
genommen. Als die Nachricht davon am 28. November in Rom eintraf, befahl Sonnino, 
nach seiner am 12. Dezember in der italienischen Kammer abgegebenen Erklärung, dem 
italienischen Schiff „Giuliana" von Massaua nach Hodeida zu fahren, um den italieni 
schen Konsul aufzunehmen. Am 9. Dezember traf der Bericht des Konsuls ein, woraus 
Sonnino am 11. Dezember in Konftantinopel exemplarische Genugtuung forderte. Da 
die Engländer die Kabellinie mit Hodeida durchschnitten hatten, erfuhr die Pforte die 
Einzelheiten des Vorfalls erst über Rom. Sie sprach dem italienischen Botschafter gegen 
über ihr Bedauern aus wegen der Uebergriffe der Lokalbehörden und verfügte, daß der ins 
italienische Konsulat geflüchtete, von den türkischen Behörden verhaftete englische Konsul 
Richardson dem italienischen Konsul zur Verfügung gestellt werde. Infolge des unter 
brochenen Telegraphenkabels bat die Pforte Italien um Uebermittelung ihrer Verfügungen, 
die am 6. Februar 1915 verwirklicht worden sind. Begleitet von dem stellvertretenden 
Kommandanten des italienischen Kreuzers „Marco Polo", der auf der Heimfahrt aus 
China auf Befehl seiner Regierung in Massaua angehalten hatte, begab sich Richardson 
an Bord des britischen Hilfskreuzers „Empreß of Asta", um nach Aden zu fahren. Der 
Zwischenfall war damit erledigt, und die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem 
italienischen Konsulat und den Ortsbehörden in Hodeida wurden wieder aufge 
nommen. 
Andererseits hatte die Wegnahme Cyperns und Aegyptens durch die Engländer Italien 
aufs neue dargetan, daß England nach der Beherrschung des gesamten Mittelmeers 
strebt. Und als dann Anfang März 1915 aus Paris und London Nachrichten über 
das Eindringen französischer und englischer Schiffe in die Dardanellen eintrafen und die 
Möglichkeit eines Falles von Konftantinopel nicht mehr so ganz unwahrscheinlich erschien,
	        
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