Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

280 Die neutralen Nordstaaten und Amerika bis zur Versenkung der „Lusitania" 
Rechnung getragen werden solle, aber wie gemäßigt auch die Anwendung der Verord 
nung sein möge, die niederländische Regierung kann nicht stillschweigend einer ernsten 
Verletzung des Grundprinzips des Völkerrechts zusehen, das seit mehr als einem halben 
Jahrhundert von allen Mächten garantiert ist." 
Die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse Hollands 
Die Niederlande, die Einfuhr- und Aussuhrpforte eines ungeheuren Wirtschaftsgebiets, 
sind in ihren Rechten und Lebensinteressen durch den Handelskrieg aufs schwerste bedroht 
worden. Das umsomehr, als Holland zwar reich an Agrarprodukten und die Heimat 
ansehnlicher zum Teil einzigartiger Industrien ist, aber die wichtigsten Lebensmittel sich 
doch nicht selbst zu schassen vermag, und vor allem auch in bezug auf Betriebsmittel 
auf die Einfuhr angewiesen ist. 
Politisch muß man, wie Ulrich Rauscher Anfang Januar 1915 in der „Frankfurter Zei 
tung" schreibt, vor eine Uebersicht der ökonomischen Lage Hollands im ersten Kriegsjahr die 
Worte des Handelsministers Treub setzen, die sich in seinem Bericht an die zweite Kammer 
finden: „Da unser Land durch seine Lage von weit größerer Bedeutung als Zwischen 
station für den Ueberseehandel nach Deutschland ist, denn als Ausfuhrland für deutsche 
Waren nach dem Ausland, ist es klar, daß Englands Politik, Deutschland nach 
Möglichkeit vom Weltverkehr abzuschneiden, unsern Handel schwerer trifft, als die wirt 
schaftliche Kriegspolitik Deutschlands gegen England." 
Wie sehr der Krieg die Niederlande belastet, geht schon daraus hervor, daß allein die 
Kosten für die Mobilisierung der niederländischen Armee und die Verpflegung der belgischen 
Flüchtlinge denniederländischenStaatshaushaltbis Ende Oktober 1914 mit 100 Mil 
lionen Gulden belastet hatten und daß die Kosten der bewaffneten Neutralität täglich etwa 
600000 Gulden betragen, die trotz der Ersparnisse im Budget aus den laufenden Ein 
nahmen nicht gedeckt werden können. So mußte der Weg einer Anleihe von 275 Millionen 
Gulden beschritten werden, die von der Kammer im Dezember 1914 bewilligt wurde und 
bereits am 12. Januar 1915 mit etwa 400 Millionen gezeichnet war. 
Die großen holländischen Häfen wurden natürlich zuerst und am empfindlichsten von 
der Kriegsnot betroffen. In ihnen herrschte Feiertagsstille, die Schiffe lagen fest, die 
Arbeit aus den Werften ruhte. Nach der amtlichen Statistik mußten in der elften Kriegs 
woche, also Ende Oktober 1914, in Amsterdam von 7000 Hafenarbeitern 2500 feiern, 
in Rotterdam waren bereits im ersten Kriegsmonat von der Gesamtzahl der 7134 Arbeiter 
4500 arbeitslos geworden. Dazu kommt, daß alle verwandten Betriebe mindestens ebenso 
schlecht daran waren; vor allem standen die Werften völlig still, eine, die Werft van Wilton, 
entließ allein 2000 Arbeiter. Im Bau- und Bauschreiner-Gewerbe waren in beiden 
Hafenstädten ein Viertel der Arbeiter brotlos. Für die Konfektionsbranche wurde die Zahl 
der Arbeitslosen nicht angegeben, aber betont, daß sie so gut wie still liege; auch die 
Tabakfabriken stellten teilweise ihren ganzen Betrieb ein. Von 12000 Diamantarbeitern 
hatten gegen Ende des Jahres 1914 nur noch 300 lohnenden Verdienst. 
Der im Februar 1915 erklärte Unterseebootkrieg versetzte dann dem gesamten holländischen 
Wirtschaftsleben einen neuen Schlag. Hunderte von geheuerten Matrosen, besonders 
Heizer und Maschinisten, weigerten sich in See zu gehen, es sei denn, daß sie in Gestalt 
eines höheren Lohns eine Risikoprämie erhielten oder ihren Hinterbliebenen eine ange 
messene Versorgung ausgesetzt werde. 
Die Regierung ergriff sofort Gegenmaßregeln. Um Geld zu schaffen, setzte sie zuerst 
die Metalldeckung der Banknoten von 40 auf 20 Prozent herunter und brachte ein Gesetz 
ein, wonach das Recht auf Einwechselung wegfiel. Sodann wurde eine Bankvereinigung 
mit einem Kapital von 200 Millionen für Kreditbeihilse gegründet und ebenso eine zen-
	        
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