Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Zwischen der oberen Weichsel u. der Reichsgrenze bis zur Wiedereroberung von Przemysl 205 
einer halben Milliarde Franken sind infolge der kriegerischen Ereignisse auf lange Zeit 
hinaus behindert. 100000 Arbeiter sind ohne Beschäftigung. Viele Städte liegen in 
Trümmern, andere, wie Brody, Tarnow, Nisko usw. erlitten großen Schaden. 
700 Kirchen wurden teils ganz, teils schwer beschädigt. Eine Million polnischer Ein 
wohner verließ Galizien und suchte in anderen Kronländern Zuflucht." 
Diese neuzeitliche Hunnenherrschaft der Russen wird in den „Leipziger Neuesten Nach 
richten" in einem längeren Bericht u. a. folgendermaßen geschildert: „Traurig sieht's aus 
in all den galizischen Städten, aus denen die Russen davonliefen. Man hat sich an mancherlei 
Bilder der Zerstörung gewöhnt, in Russisch-Polen war die Verwüstung eine einzige Be 
klemmung, in Serbien wirkte die tragische Landverlassenheit, in die nur irrsinnig ge 
wordene Hunde bellten und zum Skelett abgemagerte Katzen schrien. Hier aber wächst 
das Bild der Zerstörung ins Unerhörte und Unvorstellbare. In andere Städte, andere 
Häuser schlugen nur die Granaten. Der Feind mochte hinter den Mauern sein, der 
Feind mußte vertrieben werden: man beschoß die Städte, beschoß die Häuser, die zu 
sammenbrachen. In den galizischen Städten, zwischen der Dunajeclinie, den Karpathen 
und San, war kein Feind für die Russen, die das ganze Land ja besetzt gehalten hatten. 
In Turka, in Sanok, in Pilzno war niemand zu beschießen. Der russische Vormarsch 
ging zunächst kampflos über die Städte hinaus, weil der Kampf weiter im Westen ent 
brannte, dann flutete der Rückzug abermals über alle hinaus, weil das Ringen wieder 
weiter nördlich, weiter östlich am Sanabschnitt anhob. Die Zerstörung aller Brücken — 
so schlecht zerstört sie übrigens sind — leuchtet auch uns ein. Wenn man sich in Przemysl 
verteidigen will, ift's unangenehm, daß 30,5 om-Geschütze, selbst 42 ew-Haubitzen ange 
fahren kommen. Aber die Russen blieben nicht bei der Brückenvernichtung. Sie übten regel 
rechtes Mordbrennerhandwerk. Sie spielten noch einmal Dreißigjährigen Krieg, wieder 
holten noch einmal das Grauen seiner Legende. Man fährt jetzt durch Ruinenstädte. Um 
den Rvnik, den Hauptplatz der Stadt Jaslo, standen dachlose Arkaden mit brandgeschwärzten 
Mauern. Einmal waren ganze Stadtteile, dann die Städte überhaupt niedergelegt. 
Kahl war alles: Trümmerstätten, die aus verschollenen Jahrhunderten stehen geblieben 
schienen. Die Möbel der Wohnungen waren zum Teil schon im Winter verheizt — in Lisko 
waren die Russen besonders klug gewesen; um sich zu wärmen, heizten sie mit Fenster 
rahmen —, die besseren Wohnungseinrichtungen nahmen die Kommandanten einfach mit. 
Und als sie abzogen, gings an die völlige Zerstörung der Häuser, darin verängstete, in sechs 
Monaten der Besetzung oft genug mit der Nagaika geschlagene Juden ein Dasein der 
Angst und des Entsetzens führten. Man übergoß den Rest der Betten, den man ihnen 
noch gelassen hatte, mit Petroleum. Die Brandfackeln waren ungeheuerlich, so oft die 
Russen abermals einen Ort zu „räumen" hatten. Für solche Größe des Entmenschtseins 
gibt es keine Vergeltung. Knüpfte man alle russische Kommandanten auf, die die Schand- 
arbeit zuließen, so wär's immer noch keine Sühne." 
In einzelnen Gegenden, vor allem dort, wo die Russen das Land bereits als unantast 
baren, nicht wieder entreißbaren Besitz betrachtet hatten, ist die Bevölkerung besser behan 
delt worden. So in Tarnow, wo man in den Häusern nur die Möbel nahm, den Bauern 
der Umgegend schonte und ihm zum Teil sein Vieh ließ. Der Bürgermeister und Reichsrats 
abgeordnete vr. Tertil hatte, wie der „Kölnischen Zeitung" berichtet wurde, einmal 
fogar Milde für die österreichischen Reservistenfamilien erwirken können, für die alle 
Unterstützung verboten worden war. Der Bürgermeister verhinderte auch die Abführung 
der Stadtgelder, die die Russen mitnehmen wollten. Auch gelang es ihm mitunter, die 
Verdächtigen zu schützen, die in der Russenzeit von der mitgebrachten Ochrana grund 
los verleumdet worden waren. Die Russen wollten augenscheinlich die Tarnower Bürger 
schaft nicht allzu hart mitnehmen, die Landwirtschaft nicht zugrunde richten. Nur für
	        
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