Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Zwischen der oberen Weichsel u. der Reichsgrenze bis zur Mai-Offensive der Verbündeten 141 
groß, als daß wir allzu große Verluste haben konnten, und das einzige Schrapnell, das 
gerade in unsere Linie fiel, platzte zum Glück nicht. Nun gingen die Russen, die wohl 
merkten, daß wir nur sehr schwach waren, gegen Abend zum Angriff vor. Vor uns tauchten 
braune Schatten auf und kamen näher und näher. „Rrr", „rrr", „rrr", unsere Maschinen 
gewehre begannen zu arbeiten. Die erste Reihe der braunen Schatten da vorn brach 
nach und nach in sich zusammen. Wir begannen schon aufzuatmen, da, eine zweite Reihe 
brauner, jetzt schon schwarz erscheinender Schatten, denn es war schon dunkler geworden. 
„Rrr", „rrr", „rrr". Auch diese Linie begann langsam Hinzuschmelzen. Jetzt dauerte 
es eine Weile, und wir fragten uns, was daraus werden würde. Griffen die Russen 
ununterbrochen an, wie sie es eben gemacht hatten, opferten sie Reihen aus Reihen, 
Linien auf Linien, so mußte der Augenblick kommen, wo unsere Munition und Kraft 
erschöpft waren. Und was dann? 
Und wenn es noch ganz dunkel gewesen wäre und wir uns eintretendenfalls unter dem 
Schutze der Nacht hätten zurückziehen können, aber es war strahlender Vollmond. Die 
weißen Leiber der Birken glänzten wie bei Sonnenlicht. Es war, als ob der Himmel 
mit den Russen im Bunde wäre und uns zu verderben trachtete. Und dazu unsere roten 
Hosen und blauen Röcke! . . . 
Da wieder sammelten fie sich. Jetzt waren die Reihen wieder ganz braun. Sie setzten 
offenbar zu einem neuen Sturm an. Ich glaubte, einige Gesichter erkennen zu können, 
obgleich das aus die Entfernung doch nicht möglich war. Ich setzte eben in die Schatten 
die Gesichter der Gefangenen, die früher einmal an mir vorübergekommen waren. Diese 
brutalen, vertierten Gesichter, mit den hervortretenden Backenknochen und den stumpf 
sinnigen Blicken. Ich fühlte ordentlich den Atem dieser Bestie da drüben, die aus 
Tausenden von Menschenleibern bestand. 
Sie stampften über die Steppe heran. Ohne Deckung zu suchen, ohne Rücksicht aus 
ihr Leben. Bei allem Abscheu empfinde ich doch die Größe, die darin liegt. 
„Rrr" — „rrr" — „rrr"! 
Wieder sinken diese Reihen wie hingemäht in das gelbe, dürre, verdorrte Gras, das 
ungeschnltten verkommt. Nun mehren sich die Angriffe und folgen rasch hintereinander. 
Der Abstand zwischen uns und dem braunen Tier wird immer kleiner und kleiner. 
Was soll aus uns werden, wenn keine Hilfe kommt? Und woher soll Hilfe kommen? 
Der Mann in der Feuerlinie übersieht ja nur einen winzigen Teil des Schlachtfeldes, 
hat von den Anordnungen der Führer keine Ahnung. Er sieht eigentlich nur sein Ge 
wehr, seinen Nebenmann und seinen Gegner mit der ihn umhüllenden Natur. 
Wir schießen wie wahnsinnig. Aber je mehr wir töten, um so mehr erstehen aus dem 
Boden. Jetzt kann Man wirklich schon Gesichter erkennen. Der Gedanke: und die 
Natur ist ganz ruhig und teilnahmslos, jagt mir plötzlich durch den Kopf, während 
ich anlege und schieße, anlege und schieße, und deutlich sehe ich, daß ein Mann, von 
meiner Kugel getroffen, zusammensinkt. 
Da war es, da geschah es, da erlebte ich einen der größten Eindrücke meines Lebens, 
ich und wir alle. Jeder, den ich nachher fragte, bestätigte es mir. Dieses Erlebnis 
war das deutsche „Hurra" von tausend und abertausend Kehlen, mitten in die Stille 
der Nacht hinausgeschrien, hinausgejauchzt. Wan fühlte, die Leute da drüben haben 
das im Sturm genommen, was sie nehmen wollten. Dieses „Hurra" war das Hurra 
eines Siegers. Dieses „Hurra" war der Sieg selber. 
Und in demselben Augenblick stockte der Angriff vor uns. Erst ein Schwanken und 
Zurückfluten. Erst geordnet, dann aufgelöst, dann haltlos in wilder Flucht. Das 
deutsche „Hurra" hatte uns gerettet, und nie im Leben werde ich diese Nacht und diesen 
Siegesschrei vergessen.
	        
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