Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Zwischen der Ostsee und der oberen Weichsel 
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In höchster Eile mußten dem Feind hier starke Truppen entgegengeworfen werden, 
um einen Einbruch aus deutsches Gebiet zu verhindern. Es war keine Zeit, diese Truppen 
Von weit her zu holen, man mußte sie in der Nähe zusammenraffen. Buchstäblich über 
Nacht mußte eine neue Gruppe gebildet und sofort in Aktion gesetzt werden. Die ganze 
Nacht des 17. Mai wurde marschiert. Zu Fuß, zu Pferde, mit der Bahn rollten Truppen 
heran, zuweilen Teile verschiedener Formationen zusammenschweißend. Drei Batterien 
von verschiedenen Artillerieregimentern trabten auf verschiedenen Wegen her und bildeten 
ein neues Regiment, desgleichen drei Züge verschiedener Maschinengewehrabteilungen. 
Eine Kompagnie vereinigte Teile aus drei anderen Kompagnien. Die Truppen kamen 
ja von überall aus der Front, überall konnten nur Teile herausgenommen werden, um 
die Front nicht bis zur Ankunft der Ersatzabteilungen zu schwächen. Wem bekannt war, 
daß die gleichmäßige Ausbildung in sich geschlossener Truppenkörper die Grundlage jeder 
gedeihlichen Friedensausbildung ist, die genaue Bekanntschaft und durch die Zeit gefestigte 
Kameradschaft der Führer und Geführten, dem graute vielleicht vor dem militärischen 
Bilde, das der Kampf des nächsten Morgens bringen würde. 
Also sehe zu, wem es graut, sie kommen an. Gruppe zu Gruppe, Zug zu Zug, 
Kompagnie zu Kompagnie ballen sich zusammen im Dunkel der Nacht, organisieren sich 
mit Hilfe des rätselhaften Geistes, der im Bienenvolk und im deutschen Heere lebendig 
ist. Bei Nacht traben und radeln die Befehlsempfänger von allen Seiten den Stäben 
zu, die arbeiten nach der bekannten Regel, der Tag hat 24 Arbeitsstunden, wenn er nicht 
langt, nehmen wir die nächste Nacht zu Hilfe, voran der Generalstab. Die Generalstabs 
ritte im Frieden, auf denen man tagelang um den Schlaf gebracht wird, waren nicht 
vergebens, wir haben es gelernt, zu warten und scharf dabei zu denken. Der Befehl 
lautet: „Haltet den Feind auf, werft ihn zurück." Aber es ist nicht Mode bei uns, 
empfangene Befehle mechanisch auszuführen. Vielleicht können wir den Feind abschneiden, 
gefangennehmen, vernichten, militärisch gesprochen; versuchen wollen wir es jedenfalls. 
Im Morgengrauen setzen sich die Truppen in Marsch, erkennt der Zug seinen Neben 
zug, die Kompagnie ihre Nachbarkompagnie. Im Morgengrauen des 17. Mai kein Ge 
dränge, keine Lücken, kein Fragen, keine Verwirrung, als hätten sie ein Jahr lang mit 
einander exerziert und Felddienst geübt. So exakt läuft die Maschine dieses im Ent 
stehen begriffenen Heeres. Die Vordersten sind schon im Feuer, und hinten rückt Zug 
um Zug nach, formiert sich. Bataillon auf Bataillon setzt sich in Marsch. Ohne eine 
Minute zu verlieren, geht es an den Feind. 
Der Russe marschiert unterdessen nach Westen auf Schirwindt, da ist nicht viel zu 
holen, auf Tilsit womöglich, da kann es besser sein. „Wo wohl die Aepfel wieder reis 
geworden sind oder wenigstens die Kirschen in Ostpreußen und die Mädchen in den 
Städten, was meinst du, Brüderchen? Aber dort bei Grpszkabuda, in unserer linken 
Flanke, was kracht denn da und heult so laut und pfeift und singt aus der Luft auf 
uns herab? Sind da nicht schon Schüsse gefallen? Vielleicht haben sie dort eine Batterie, 
die Deutschen. Jetzt schießen unsere auch. Wir müssen ein wenig warten mit dem Vor 
marsch nach Ostpreußen, erst die Deutschen da verjagen. Das Schießen wird aber immer 
stärker drüben, immer länger wird die Feuerlinie. Sind sie uns etwa wieder in die 
Flanke gekommen, die verfluchten Niemzi, haben sie uns wieder in der Zange, dann hilft 
alles nichts, Brüderchen, du weißt ja, wie es dann geht." 
Es dauert eine Weile. Da fangen sie an, sich nach dem Rückweg umzusehen, da 
merken sie, daß die Niemzi sie wieder in der Zange haben. Da fangen sie an zu laufen 
ein paar tausend in die Gefangenschaft, mehr in den Tod, die andern in die Wälder, 
auf den Njemen, zu den Brücken, wenn wir bloß erst über der Brücke wären. Wie 
haben sie uns wieder geführt, unsere Generale, heiliger Gott! Ende April, da war es
	        
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