66 Die russischen Kriegsschauplätze bis zur Winterschlacht in Masuren
zur Höhe hinauf, klang durch Sekunden fort und entschwand in der Ferne wie etwas ganz
Rätselhaftes, ganz Ungeheuerliches... Von einem Flammenschein umgeben, grell um
brandet von blendendem Licht, von einer Feuergarbe hochaus umloht, zuckte das gedrun
gene Rohr des Geschützes im Augenblick des Abseuerns zurück... Staubwolken wirbelten
auf; sie mischten sich Grau in Grau und Braun mit dem aufsteigenden, das ganze Geschütz
für einige Augenblicke vollkommen verhüllenden Pulverdampf, und aus der Lust nieder
fielen noch minutenlang die Stücke des in Hunderte von Fetzen zerrissenen Deckels der
Kartuschlädung... Wie mußten sich nach jedem Schusse die schweren Haubitzen und
selbst die 21-Zentimeter-Mörser, die sonst im Schlachtenkonzert das große Wort sprechen,
zusammennehmen, um wieder gehört zu werden!... Eine ganze Batterie kam nicht
gegen einen der österreichischen Mörserschüsse an. Sie bellte heiser und dünn gegenüber
der Stimme des Riesenmordinstrumentes.
Ein- über das andere Mal haben wir in den Stunden dieses wild und heftig toben
den Artilleriekampfes im Stillen gedankt, daß nicht den Unsern der Granatsegen über die
Köpfe geschüttet wurde; denn bei der Fülle konnte die Wirkung nicht ausbleiben. Im
Laufe des Morgens hellte das Wetter auf, und so gewannen die Artilleriebeobachter, die,
eng nebeneinander gedrückt, oben in den beiden Kirchtürmen von Bolimow saßen, auch
eine gute Sicht: sie konnten das Artilleriefeuer zweckentsprechend leiten. Das Telephon
übermittelte die Befehle, das Scherenfernrohr kontrollierte die Schußwirkungen, denn
man sah deutlich, wie in der Entfernung von einigen Kilometern der Geschoßhagel auf
die feindlichen Gräben niederstürzte. Hochauf sprangen bei den Einschlägen die Erd
fontänen. Ueber den russischen Schützengräben lag eine langgestreckte Weiße Pulver
wolke, die, in sich auf und ab brodelnd, eine große wogende Wand bildete. Und dahinter,
gegen Humin, richteten die Mörserbatterien, die deutschen wie die österreichischen, ihr
verheerendes Feuer. Ungeheuer war der dumpfe Donner der Geschütze, die Heftigkeit des
Artilleriekampfes, durch den der Feind erschüttert werden sollte. Die Luft war wie von
wild ausgeteilten Gigantenhieben in Aufruhr versetzt. Das pfiff und heulte, das schrie,
klagte, brauste wie Meeresbranden, wie unholdmäßig grollendes Ungewitter, dröhnte mit
hundertfältigem scharfen Echo; und dazwischen brachen mit dumpfen Knall die
gegnerischen Granaten nieder. Denn der Russe antwortete, er schickte unsern Linien
Schrapnells entgegen, suchte unsere Geschütze in der Rawkaniederung, streute nach seiner
Kampfart das ganze Gelände mit „Schwarzen Säuen" ab. In den Rawkagrund, die
breite, sumpfige Flußniederung, brachen die Granaten ein; sie durchschlugen die Eis
decke, die mit ungeheuerem Getöse brach, während aus der aufgewühlten Tiefe die Moor
wasserfontänen dunkel in die Höhe spritzten. Vor und hinter den Batterien lagen die
Sprengpunkte, die russischen Einschläge; in dunkeln Löchern kennzeichneten sie sich, die
hartgefrorene Erde war in dicken, schlackigen, zentnerschweren Stücken aufgebrochen und
über die Weiße Schneedecke, weithin geweht, lag dunkelbraun der Erdstaub der tief auf
gerissenen und hochgeworfenen Masowischen Scholle...
Von einem der vorgeschobenen Gefechtsstände gelang es mir, den Sturmangriff
unserer Infanterie zu beobachten. Zur bestimmten Stunde schwieg plötzlich der Geschütz
lärm. Das Feuer brach ab und wenige Minuten danach erhoben sich die bereitgestellten
Jnfanteriemassen. Aus ihren Gräben stiegen sie auf, kletterten über die Wälle der
eigenen Schützenstellungen, suchten Deckung im Gelände, wo die russische Infanterie sie
mit Gewehr- und Maschinengewehrfeuer empfing. Doch das war nur einen Augenblick,
dann ging es im Sprung voran; die angreifende Linie wurde dünn, sie schwärmte aus
einander und suchte immer wieder unter kurzem Deckungnehmen voranzukommen. Kurze
Minuten, und dann: schon war der erste russische Graben erreicht. Stürmend, mit
Bajonett und Kolben ging es heran und hinein. Mann gegen Mann entspann sich der