D i e Schlacht in Polen
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Von den Schlachtfeldern an der Bzura und Rawka
Nach der Einnahme von Lodz und Lowicz drängten die deutschen Truppen den Feind
immer weiter östlich zurück, so daß die Russen Ende Dezember 1914 bereits über die
Bzura hinaus zurückgeworfen waren. Der Bzura-Abschnitt liegt noch etwa
45 km von Warschau entfernt. Unmittelbar südlich der Weichsel wird das Zwischenland
zwischen Bzura und Warschau durch gewaltige Sumpf- und Waldstrecken ausgefüllt,
die für größere Heeresmassen kaum passierbar sind. Noch ungünstiger für eine neue Ver
teidigungsstellung der Russen ist das Gelände zwischen der Rawka und Warschau,
wenngleich hier zahlreiche kleine Flußläufe dem Feinde Stützpunkte geben können. Gleich
zeitig mit dem Vordringen der verbündeten Truppen an der Bzura entwickelten sich auch
Kämpfe am und östlich des Rawka-Abschnittes, in denen hauptsächlich durch kühne
Nachtangriffe Erfolge errungen wurden. Der Kriegsberichterstatter Granville
Fortescue hatte Gelegenheit, einem solchen nächtlichen Kampf an der Front der russischen
Heere als Zuschauer beizuwohnen. Zunächst fährt er nach Blonje, wo ein russischer
Hauptverbandplatz eingerichtet worden war, und dann weiter nach Sochatschew. Er
erzählt nach der „Täglichen Rundschau": „Am Morgen hatte es geschneit, die trübe,
braune, polnische Ebene ist in glitzerndes Weiß gekleidet. Zu unsern Häupten drückt
ein schmutziger, silbriger Himmel nieder, der kaum höher zu sein scheint als eine graue
Zimmerdecke. Im Norden strecken ein paar Bäume ihre nackten Zweige in die Oede
hinein und malen einen schwarzen Fleck auf die Leinwand von Grau und Weiß. Das
ist die Schlachtlandschaft. Hinter den Bäumen fließt die Bzura. Vor uns dehnt sich die
Ebene,' flach und leer; hier und da schwarze Punkte, einzelne Gehöfte, während im
Süden die Straße nach Kalisch läuft, von einer langen Linie lautloser Bäume eingefaßt.
Im Westen liegt Sochatschew, ein dunkles Gewirr von Häusermassen nahe an dem Wege,
der zum Flusse sich hinzieht. Durch diese Landschaft kriechen hier und da Gestalten. Es
sind müde Reiter, deren kleine Pferdchen die Nase tief auf den Boden hängen lassen.
Auch die Kanoniere an der Batterie zur Rechten sind müde und nur selten hört man die
dumpf dröhnende Stimme ihrer Geschütze. Hinter dem Horizont im Norden rollt wie
Donnerhallen der vielstimmige Chor von Kanonen; aus der Baumgruppe kommt ein
anderes Geräusch. Pop, pop, Pop, popaaauuu — es ist der Ton des Gewehrfeuers.
Das knattert schon den ganzen Morgen, aber ich kann mir die Augen aussehen, ohne
einen Soldaten zu erblicken. Ihre Schützengräben sind mir gezeigt worden, aber das ist
der Kniff der Russen, daß sie ihre Gräben fast unkenntlich anlegen, oft zwanzig hinter
einander mit Stacheldrahthindernissen...
Sochatschew ist eine Stadt der Toten. Seine schweigenden Straßen lassen den Knall
unseres Motors unheimlich widerhallen, wie wenn ein anderes gespenstisches Automobil
hinter uns käme. Hier und da lugt aus den Fenstern und Türen ein fahles Gesicht.
Die angstvollen Augen sind fragend auf uns gerichtet. Fast jedes Dach ist durch die
Beschießung zerstört, so daß nur noch einzelne Sparren wie Skelette herausragen. Wir
halten auf dem Marktplatz, kommen zu der Kalischer Wegbrücke, und die Bzura fließt
vor uns, ein flimmernder gelber Streif, der jetzt Weltruhm errungen hat. Kahle, braune
Bäume recken sich am anderen Ufer empor. Kaum 400 Schritte sind wir von den deut
schen Schützengräben entfernt. Eine Patrouille mongolischer Kavallerie reitet vorüber.
Sie tragen schäbige schwarze Papas, die russische Bezeichnung für ihre hohen Hüte und
lange purpurrote Mäntel, die der einzige Farbenton in dieser grauen Landschaft sind.
Endlose Reihen von sibirischen Ponies bedecken alle Straßen und suchen mühsam ihren
Weg. Große Schwierigkeiten bereitet das Ausheben der Schützengräben. Die Stiche
der Spaten und die Schläge der Hacken kommen sehr leicht durch die Oberfläche des