Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

252 Der Seekrieg bis zur Torpedierung der „Lusitania" 
Herzogs von Grafton. Die „Times" bemerken dazu: „Die Deutschen scheinen die in 
ihren Händen befindlichen Mitglieder der vornehmsten englischen Familien und die An 
gehörigen der berühmtesten britischen Regimenter ausgesucht zu haben." 
Das Vorgehen der britischen Admiralität hat in ganz Deutschland Entrüstung her 
vorgerufen; aber auch in England erfuhr die völkerrechtswidrige Behandlung der deut 
schen Seesoldaten, die ihre militärischen Pflichten bis zum äußersten erfüllt hatten, viel 
fach energischen Widerspruch. Die liberale Londoner Wochenschrift „The New States- 
man" z. B. erklärt, die Regierung habe fich in eine Sackgasse hineinmanövriert. Sei 
schon das Geschrei vor einigen Wochen betreffs der besonders strengen Behandlung ge 
fangener Unterseebootmannschasten bedauerlich gewesen, so sei noch bedauerlicher die Tat 
sache, daß die Regierung dem stattgegeben habe. Der Artikel fährt fort: „Wir müssen uns 
eingestehen, daß wir io xooeto Repressalien mit den Deutschen nicht konkurrieren können, 
und daß für jeden Schritt, den wir tun, die deutsche Regierung ohne Schwierigkeit zwei 
Schritte machen kann. Es bleibt uns nur übrig, alle Kriegsgefangenen, ohne Rücksicht 
auf ihre individuellen Handlungen als ehrenhafte Feinde zu behandeln, wie wir unsere 
Landsleute in Deutschland behandelt zu sehen wünschen." 
Auch der Bischof von Birmingham, der eindringlich zur Besinnung geraten hatte, 
brandmarkte das Vorgehen der britischen Admiralität als einen „verächtlichen Rache 
akt." Die Angelegenheit kam Ende April auch im Unterhause zur Sprache, Ma 
rineminister Churchill erklärte: „Es sind nur besondere Maßnahmen getroffen für 
die Behandlung kriegsgefangener Unterseebootsmannschaften, die absichtlich Nichtkombat 
tanten im Meer umkommen ließen. Die vor dem 18. Februar in Gefangenschaft ge 
ratenen Mannschaften von Unterseebooten werden wie gewöhnliche Gefangene behandelt," 
und weiter: „Es kann augenblicklich nicht gesagt werden, ob es bei Beendigung des Krieges 
möglich sein wird, eine direkte oder indirekte Schuld dieser Leute nachzuweisen, auch 
nicht, in welcher Form Genugtuung erzielt werden kann. Inzwischen müssen diese Ge 
fangenen von ehrenhaften Kriegsgefangenen getrennt gehalten, aber in jeder Beziehung 
menschlich behandelt werden. Die Gegenmaßnahmen Deutschlands gegen kriegsgefangene 
englische Offiziere werden die Handlungsweise der englischen Regierung nicht abändern." 
Ministerpräsident Asquith nannte die Behandlung der englischen Kriegsgefangenen 
in Deutschland in jeder Beziehung entsetzlich. „Die Geschichte und England werden 
diesen schrecklichen Rekord von berechneter Grausamkeit und Verbrechen bei der End 
abrechnung nicht vergessen." 
Allmählich aber sah man ein, daß die englische Maßnahme eine Torheit war. Im 
Unterhause erklärte Bonar Law Anfang Mai 1915 offen: die Regierung könne ohne 
Schädigung ihres Ansehens und der nationalen Würde dieses Verfahren rückgängig 
machen. Ursprünglich hatte es die englische Regierung abgelehnt, die Behandlung der 
deutschen Unterseeboot-Gefangenen durch einen Vertreter Amerikas untersuchen zu lassen. 
Auf die deutsche Vergeltungsmaßregel hin aber wurde diese Behandlung wesentlich ver 
bessert und kurze Zeit darauf hat die Regierung, wie Lord Creme im Oberhaus mit 
teilte, auch gestattet, daß der amerikanische Botschafter in London die Gefangenen be 
sucht; ja sie selbst wünscht jetzt diesen Besuch dringend, da von seinem Ergebnis die 
Behandlung englischer Offiziere, die zum größeren Teile vornehmen englischen Familien 
angehören, abhängt. Anfang Juni erklärte dann Balfour im Unterhause, daß seit 
einigen Wochen kein nennenswerter Unterschied in der Behandlung Kriegsgefangener 
von Unterseebooten und anderer Kriegsgefangener gemacht worden sei, und daß namens 
der Regierung Maßregeln getroffen worden seien, um die Behandlung zukünftig voll 
ständig gleich zu gestalten. Das bedeute jedoch keine Aenderung der Ansichten über die 
Art der Handlungen, zu denen die Unterseebootleute verwendet würden.
	        
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