244 Der Seekrieg bis zur Torpedierung der „Lusitania"
Explosion folgte. Fast im gleichen Augenblicke setzten die Schrauben des Dampfers aus,
und das Schiff neigte sich so stark, daß das Deck spitzwinklig zur Meeresoberfläche stand.
Viele Passagiere fielen bei diesem ersten Stoß über die Reeling ins Wasser. Die Panik,
die unter den Passagieren ausbrach, war unbeschreiblich, um so anerkennenswerter ist
die Ruhe und Geistesgegenwart, die die Schiffsbesatzung in den wenigen schrecklichen
Minuten zeigte, die die „Lusitania" noch auf der Meeresoberfläche blieb. Die Rettungs
boote waren sofort klar gemacht. Die Passagiere, die sich auf Deck befanden, sprangen
hinein, wie sie waren, und es waren meiner Schätzung nach kaum fünf Minuten seit der
Explosion vergangen, als die ersten bis zum Sinken vollbesetzten Boote von der
„Lusitania" abstießen. Die Rettung der in den Schiffsräumen unter Deck befindlichen
Passagiere muß aus Schwierigkeiten gestoßen sein, denn ich sah später, daß eine Anzahl
Rettungsboote abfuhren, die noch zahlreiche leere Plätze auswiesen. Der Riesenrumpf
der „Lusitania" sank mit jeder Minute tiefer. Als die Wellen das Deck bespülten,
entfernten wir uns so schnell als möglich, um nicht in den Strudel des sinkenden Wracks
hineingerissen zu werden. Wenige Minuten daraus war der Riesendampfer verschwunden.
Nach kaum einer Stunde wurden wir von einem Torpedojäger aufgenommen."
Ein Passagier der zweiten Klasse, Dr. Moore aus Süddakota, der mit einem Kollegen
auf der „Lusitania" nach England reiste, um seine Dienste als Arzt im Felde anzubieten,
erzählt in der „Times" folgendes: „Das erste auffällige Zeichen, das ich bemerkte, war ein
Zickzack im Kurs unseres Schiffes gegen 1 Uhr. Um diese Zeit beobachteten mehrere von
uns, einige durch Gläser, daß etwa 2 1 h Seemeilen vom Schiff sich ein länglicher schwarzer
Gegenstand mit drei anscheinend kugelartigen Erhöhungen zeigte. Er schien sich schnell zu
bewegen, dann unterzutauchen und zu verschwinden und wieder aufzutauchen. Zuletzt ver
schwand er völlig, und die „Lusitania" nahm ihren gewohnten Kurs mit einer Schnellig
keit, die ich auf etwa 18 Knoten oder vielleicht etwas weniger schätze. Wir kamen zu dem
Schluß, daß der Gegenstand, den wir beobachtet hatten, ein Tauchboot war, das sich als ein
befreundetes erwiesen hatte. In diesem Augenblick war kein anderes Schiff in Sicht als ein
gewöhnliches Fischerboot. Das Land war während mehr als drei Stunden deutlich erkenn
bar. Ich möchte annehmen, daß wir zwölf Seemeilen davon entfernt waren. Etwa zehn
Minuten vor 2 Uhr begab ich mich hinunter zum Frühstück. Man unterhielt sich bei
Tisch über den beobachteten Gegenstand, allein alle waren beruhigt und hatten Ver
trauen. Etwa zehn Minuten später war ein dumpfer, trommelähnlicher Schall aus der
Richtung vom Bug zu vernehmen, begleitet von einem Beben oder Zittern des Schiffes.
Letzteres begann sofort nach Steuerbord überzuholen. Beim Knall der Entladung erhob
sich ein allgemeiner Schrei unter den Frauen. Die Männer beschwichtigten sie dahin, daß
keine Gefahr vorhanden sei, und daß wir nur eine kleine Mine getroffen hätten.
Die erste Schreckensempfindung der Fahrgäste verschwand bald, und sie schickten sich
an, in guter Ordnung aus dem Speisesaal an Deck zu gehen. Es gab kein Gedränge.
Die einzige Störung war die sehr schiefe Lage des Decks. An der Steuerbordfeite wurden
kleine Boote abgelassen, da das Meer dort schon etwa vier Meter von der Reeling
reichte. Ich wandte mich halb kletternd über Deck bis zum Abschluß der ersten Klasse.
Ich sah nach einem Rettungsgürtel, konnte aber keinen finden. Die einzige Person, die
ich traf, war ein katholischer Geistlicher. Ich lief nach meiner Kammer in der zweiten
Klasse zurück und stieß unterwegs auf eine Schaffnerin, die sich bemühte, einige hoch
verstaute Rettungsgürtel herunterzuholen; nachdem ich ihr geholfen, einen anzulegen,
stieg ich in einen andern. Unweit davon bemerkte ich eine Frau, die sich an der Wand
eines noch nicht abgelassenen Bootes festhielt. Als ich über die Reeling hinwegsah,
bemerkte ich, wie etwa drei Meter weiter unten ein Boot abgelassen wurde. Ich trieb die
Frau dorthin, sie fiel in das Boot, und ich schwang mich nach ihr hinüber. Während das