Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

Der Handelskrieg in der Nordsee 
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von New Jork sehr aufgeregt verlief. Die Passagiere erhielten zahlreiche Telegramme, 
die ihnen rieten, nicht mit dem Schiff zu reisen, das sicher durch deutsche Unterseeboote 
torpünert werden würde. Diese Telegramme waren, wie es scheint, mit erfundenen 
Namen unterzeichnet. Das neue Mittel, das die Deutschen anwenden, wird nicht mehr 
Erfolg haben als die früheren. Die Herrschaft über die Meere gehört andauernd den 
Alliierten, man müßte sie ihnen nicht durch Drohungen, sondern durch Taten nehmen." 
Auch in England hatte man versucht, den Eindruck der deutschen Warnung abzu 
schwächen. Die Londoner „Times" teilte aus Liverpooler Schiffahrtskreisen mit, daß man 
dort wegen der Ankündigung der deutschen Botschaft keinerlei Besorgnis habe. Es würde 
keine Einschränkung des atlantischen Verkehrs stattfinden, es sei denn auf Anordnung 
der Admiralität. „Die Maßregeln zum Schutze des Schiffsverkehrs auf den Handels 
straßen sind derart, daß keine Besorgnis hinsichlich der Sicherheit der großen atlantischen 
Dampfer oder der anderen zahllosen im atlantischen Handel tätigen Schiffe herrscht." 
„Die Beamten der Cunardlinie in New Jork," schreibt der „Daily Telegraph", 
„sagten, es sei niedrig von der Botschaft eines großen Reiches wie Deutschland, zu der 
Taktik zu greifen, eine Dampfschiffsgesellschaft zu schädigen. Ihre Entrüstung wurde 
nicht verringert, als aus Washington bekannt wurde, daß die Botschaft nach Weisungen 
aus Berlin verfahren sei." Der Vertreter des Blattes, der bei der Abfahrt des Schiffes 
zugegen war, berichtet, daß die große Mehrzahl der Reisenden über die Warnung spottete, 
die sie für lächerlich hielten; nicht ein einziger Passagier habe die Reise aufgegeben. Der 
Generalvertreter der Cunardlinie, Charles Summer, erklärte der „Daily Mail" zufolge: 
„In Wahrheit ist die „Lusitania" das sicherste Schiff auf dem Meere. Sie ist für jedes 
Unterseeboot zu schnell. Kein deutsches Kriegsschiff kann an sie heran." 
Einer der geretteten Passagiere der „Lusitania", ein Amerikaner, hat, wie dem „Ber 
liner Tageblatt" aus London gemeldet wurde, in Queenstown Journalisten gegenüber 
folgende Schilderung von der Ueberfahrt des Schiffes und der Katastrophe gegeben: 
„Unmittelbar nach der Abfahrt von New Jork war die Stimmung an Bord der 
„Lusitania" etwas gedrückt, da die verschiedenen Warnungen, die uns Passagieren zuteil 
geworden waren, bei vielen Leuten eine gewisse Nervosität hervorgerufen hatten. Je 
mehr sich jedoch das Ziel unserer Reise näherte, desto mchr hob sich die Stimmung 
wieder, zumal die Fahrt vom herrlichsten Wetter begünstigt war und außerordentlich 
schnell vonstatten ging. Die Unterseebootsgefahr wurde für ziemlich gering erachtet. Erst 
die außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln, die die „Lusitania" traf, als sie sich der 
Blockadezone näherte, erinnerten uns daran, daß wir uns im Kriege befanden. Es 
durften außenbords keine Lichter mehr gezeigt werden, nach Anbruch der Dunkelheit lag 
das Deck der „Lusitania" in völliger Nacht. Die Kapelle spielte nicht mehr aus Deck, 
wie überhaupt jedes überflüssige Geräusch vermieden wurde. Den durch diese Maßregeln 
besorgt gemachten Passagieren erwiderten die Offiziere des Dampfers stets in beruhigend 
ster Form, rieten ihnen aber, wenn auch mehr im scherzenden Tone, auf alles gefaßt zu 
sein. Im Ernste glaubte jedoch eigentlich niemand an das tatsächliche Vorhandensein 
einer Gefahr. So kam der Unglücksfreitag heran, in dessen Abendstunden die englische 
Küste erreicht werden sollte. Das gemeinsame Mittagessen der Passagiere erster Klasse 
verlief wie gewöhnlich in durchaus heiterer Stimmung und war gegen 2 Uhr beendet. 
Die meisten Passagiere zogen sich in ihre Kabinen zurück, nur wenige, unter ihnen ich 
selbst, blieben auf Deck und beobachteten die völlig ruhige See. Es war weit und breit 
kein Schiff zu sehen, nur am äußersten Horizont zeigte sich eine Rauchfahne, die wie sich 
später herausstellte, einem englischen Torpedojäger angehörte. Plötzlich hörten wir an 
der Backbordseite des Riesendampfers, ungefähr mittschiffs, ein dumpfes Krachen, wie 
von zersplitternden Balken, dem in derselben Sekunde der Donner einer furchtbaren
	        
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