220 Der Seekrieg bis zur Torpedierung der „Lusitania"
morgen an jenem Platze. Ueberall können wir unsere Schutzmänner nicht aufstellen. Die
Mörder verfügen über viele Schlupfwinkel, ste können in diese oder jene versteckte
Bucht laufen und sich durch Untertauchen unsichtbar machen. Für viele Stunden ver
schwinden ste so plötzlich, um dann ebenso überraschend bald hier, bald da wieder zu
erscheinen. Gegen jemand, der so gegen jede Moral und gegen jedes Gesetz verstößt,
wächst kein Gras. Man wußte schon vor dem Kriege, daß es gegen das Unterseeboot
kein Verteidigungsmittel gibt. Jeder unserer Seeoffiziere kannte diese Tatsachen. Nun
sieht sich unsere Flotte vor eine Ausgabe gestellt, der sie nicht gewachsen ist, der sie
ebensowenig wie irgend eine andere Flotte gewachsen sein kann....
Gewiß, der jetzt von den Deutschen geführte Unterseebootskrieg ärgert uns und fügt
uns einigen Schaden zu, aber er kann nie auf den Gang der gesamten kriegerischen
Ereignisse von irgendwelchem schwerwiegendem Einfluß sein. Jeder Sachverständige
kennt die geringe Bedeutung des Handelskrieges. Selbst vor 100 Jahren hatte die
Zerstörung unseres Handels keinen wesentlichen Einfluß. Und jetzt wird der Ver
such, unseren Handel zu schädigen, es ebensowenig vermögen. Unsere Hochseeflotte
hat andere Aufgaben zu erfüllen, als deutsche Unterseeboote zu jagen und etwa gute
Zielscheiben für deren Torpedos abzugeben. Viele Schiffe kleinerer Art verfolgen die
deutschen Unterseeboote. Aber ihre Aufgabe ist schwierig. Nichtsdestoweniger werden
wir lernen, werden immer besser verstehen, Erfolge beim Aufbringen der Seeräuber und
Mörder zu erzielen. Kriegs- und Handelsmarine vereinigen sich in der Bekämpfung
der Unterseebootspest. Die Kauffahrer tragen ihr gut Teil bei. Wohl ist die
Arbeit schwer, aber der Geist des alten britischen Seemannes lebt noch."
Als England Deutschland den Krieg erklärte, erwartete die Welt voll Spannung den
Tag, an dem die meerbeherrschende, gewaltige Flotte des britischen Weltreichs den ver
nichtenden Schlag gegen den deutschen Nebenbuhler ausführen werde. Monate vergingen,
ohne daß England seine ernsten Drohungen in die Tat umzusetzen im stände war, und
nach einem fast vollen Kriegsjahr steht die deutsche Hochseeflotte mit allen Einheiten des
Küstenschutzes beinahe unversehrt noch immer auf der Meereswacht. Niemals hat die
feindliche Flotte einen ernsthaften Angriff auf die deutschen Strommündungen gewagt,
und selbst im Dunkel der Nacht unternahm es kein englisches Fahrzeug, sich der Insel
Helgoland aus Schußweite zu nähern. Die Verkündigung der „Strategie der Zurück
haltung" durch den ersten Seelord, Prinz Louis v. Battenberg, war eine fadenscheinige
Umschreibung des zwingenden Gebots der Notwendigkeit. Es war die Furcht, die den über
mächtigen Gegner vor jedem Wagnis zurückschrecken und die deutschen Küstengewässer meiden
ließ. Was Prinz Louis v. Battenberg nicht gelungen war, vermochte auch sein Nachfolger
Lord Fisher nicht zu erreichen. Auch er mußte bald einsehen, daß das Draufgängertum
des Marineministers Churchill zur Niederkämpfung der deutschen Flotte nicht ausreiche.
Der deutsche Admiralstab aber konnte am 23. April 1915 in stolzem Selbstbewußtsein erklären:
„Die deutsche Hochseeflotte hat in letzter Zeit mehrfach Kreuzfahrten
in der Nordsee ausgeführt und ist dabei bis in die englischen Gewässer
vorgestoßen. Auf keiner der Fahrten wurden englische Seestreitkräfte
angetroffen."
„Diese neuesten Erkundigungsfahrten bilden," wie die „Frankfurter Zeitung" schreibt,
„eine Fortsetzung der früher schon unternommenen Vorstöße (vgl. IV, S. 270). Da
mals stieß das deutsche Kreuzergeschwader wenigstens auf schwache englische Seestreit-
kräste, die, soweit ste von uns nicht unschädlich gemacht wurden, allerdings schleunigst
das Weite suchten. Diesmal haben die deutschen Kreuzer überhaupt kein englisches Schiff
gesichtet. Vielleicht aus Furcht vor deutschen Minen und Unterseebooten versteckt sich die
an Zahl der deutschen Flotte weit überlegene englische in der Irischen See, so daß