Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

190 Die Ereignisse an der Westfront von Mitte Januar bis Mai 1915 
äußerst vornehme und vor allem sympathische Menschen vor mir habe. Da ist ein Hauptmann, 
ein angenehmer Herr um die Vierzig, der gemütlichen Verkehr gern hat und seine Untergebenen 
wie Kameraden behandelt. Mit seinem feinen Mädchenstimmchen und einem fortwährend 
in seinen Bart hineinspielenden Lächeln glaubt man nicht, zu einem das Befehlen gewöhnten 
Manne zu sprechen. Der Adjutant ist der Typus des jungen deutschen Adligen unserer 
Tage. Schlank, klug, lang auf den Beinen, mit ausgerecktem Halse und abfallenden 
Schultern. Glatt geschorener Kopf und bartloses Gesicht. Bis auf das Tüpfelchen ge 
hegt und gepflegt, mit fast frauenhaft vorsichtigen Bewegungen, ein patentes Kerlchen 
ohne Fehl und Tadel. Auch seine Sprechweise stimmt mit seiner militärischen Haltung 
wenig überein. Es liegt etwas Schmeichelndes in seiner Stimme, und das Französisch 
spricht er mit gespitzten Lippen. Ich sehe noch seine Betroffenheit, als er mit seinem 
Französisch bei der Magd auf völlige Verständnislosigkeit stieß. „Was sprechen Sie 
denn?" staunte er, als sie auch kein Deutsch begriff. Es schien ihm nicht einzugehen, 
daß es Menschen gibt, die eben nur Flämisch reden können. Nummer drei ist ein 
junger Adliger, ein lustiger, sich ungezwungen gebender Leutnant mit einem bösen Denk 
zettel in der Backe, der sich sofort nach Jagd und Wild erkundigt und der sich einbildet, 
ich müßte ihm so mir nichts dir nichts erzählen, wie ich Hasen und Fasanen schieße! 
Als ich ihm auseinandersetzte, er wolle mich wahrscheinlich nur aushorchen, um mir 
daraus einen Fallstrick zu drehen, brach er in ein herzliches Lachen aus und bedauerte 
es selbst aufrichtig, daß alle Waffen in Beschlag genommen werden müßten. Es sind 
dann noch zwei weitere Offiziere und ein Oberarzt zur Stelle. Der Doktor ist ein 
stiller, instchgekehrter Mann, mit dem man sich auf der Stelle vertraut fühlt, ein Hamlet- 
Typus mit geschorenem Haar, jung sprossendem Bart und gutmütig nachdenklichen 
Augen, die durch enorme runde Brillengläser blicken. 
Kein einziges Wort und Benehmen läßt merken, daß sie fordern können, was sie ge 
nießen oder daß es dem Quartiergeber befohlen ist, seine Gäste gut zu empfangen. Sie 
benehmen sich im Gegenteil sehr entgegenkommend und dankbar für alles, was ihnen 
dient. Es war meine Absicht gewesen, sie allein zu lassen, um noch einen Rundgang 
zu machen, denn nach einer halben Stunde schon glich mein Haus einer Herberge, mit 
unaufhörlichem Gelaufe von Burschen, Schildwachen und Unteroffizieren, die sich Be 
fehle holten. Der Hauptmann gab indessen den Wunsch zu erkennen, ich möchte mit 
ihnen speisen und dann den Kaffee vor dem breiten Fenster in meiner Arbeitsstube ein 
nehmen, von wo man die wunderschöne Aussicht genießt . . . 
Im Verlaufe des Gesprächs wurde ich auch gewahr, daß sie durchaus aus der Höhe 
waren, sowohl in der deutschen, wie auch in der französischen Literatur. Der Oberarzt 
hatte sogar mehrere Jahre in Paris studiert. Mit eifrigen Händen fielen sie über 
meine Bibliothek her, und jeder suchte sich nach seinem Geschmack etwas aus, um sich 
Lektüre mit ins Bett zu nehmen. Des Abends vereinigten sie sich wieder in dem Eß 
zimmer, und als sie dort ein Piano entdeckten, fanden sich unter ihnen auch zwei gute 
Musiker, denen das Herz ordentlich darüber aufging, Musik machen zu können. Nach 
beendeter Mahlzeit glich das Zimmer bald einem militärischen Klub, woselbst jeder nach 
seinem Geschmacke sich unterhielt. Es wurde musiziert, geplaudert und geraucht bis in 
die späte Nacht. . . 
Daß kein Mißtrauen bei den Deutschen mehr besteht, und daß nicht mehr mit Er 
schießen gedroht wird, ich kann es besser als jeder bezeugen. Neben ihren Mänteln 
und Helmen hängen an den Riegeln unter der Treppe auch ihre Säbel und Revolver. 
Es wurde also mir vollkommen überlassen, sie nächtlicher Zeit mit ihren eigenen Waffen 
zu ermorden! An den beiden Haustüren steht allerdings eine Schildwache, aber außer 
halb, von innen ist alles unbewacht . . .
	        
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