Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

174 Die Ereignisse an der Westfront von Mitte Januar bis Mai 1915 
den Dämpfen betäubt waren, verfielen nach der Einlieferung in das Lazarett einem 
tiefen und lange andauernden Schlaf; bis auf die Augen, die schmerzten, hatten ste keine 
ernstlichen Beschwerden." 
Ein anderer Korrespondent der „Daily Mail" verrät, daß Belgier und Franzosen 
schon vor der Anwendung der Gase gewichen waren. „Am 22. April 1915 am Morgen," 
so berichtet er, „eröffneten die Deutschen ein heftiges Feuer auf die französischen und 
belgischen Gräben bei Zuydschoote, einige Meilen nördlich von Ipern, auf dem Wege 
nach Dixmuiden. Die Franzosen und Belgier waren durch die furchtbare Beschießung ge 
zwungen, ein wenig zurückzugehen. Daraus zündeten die Deutschen ein chemisches Mittel, 
das für Schwefelchlor gehalten wird, an und kamen gleichzeitig aus den Gräben heraus. 
Die Franzosen in der Meinung, daß der Feind seine Stellungen räumen wollte, griffen 
nun an, gerieten aber bald in eine dicke Wolke von gelblichem Rauch. Während die 
Deutschen vorgingen, feuerte nun ihre Artillerie Granaten ab, die die gleichen giftigen 
Gase entwickelten. So kamen die Franzosen und Belgier zwischen zwei Rauchwolken. 
Niemand konnte im dichten Rauch sehen, was vorging, und zugleich ergoß sich ein un 
barmherziges Feuer aus Gewehren und Maschinengewehren aus die hilflose Masse. 
Glücklicherweise konnte ein französischer Sergeant aus dem Menschenknäuel entfliehen 
und den belgischen Kommandeur verständigen, der dann seine Truppen in guter Ordnung 
zurückzog, um nicht abgeschnitten zu werden." 
Aus dem zerstörten Flandern 
Flandern, das friedliche fruchtbare Land mit seinen ehrwürdigen Städten und wohlhaben 
den Dörfern, hat durch den Krieg furchtbar gelitten. Der Dichter Bernhard Kellermann, der 
die Gegend um Ipern bald nach den heftigen Kämpfen Ende April 1915 besuchte, hat 
im „Berliner Tageblatt" geschildert, wie er das Land sah. In einem der von den Deutschen 
besetzten Dörfer hinter der Front hat er den Kirchturm erstiegen und Ausschau gehalten: 
„Unten liegt winzig und verwinkelt das Dorf. Ein paar Häuser sind zerschossen. Soldaten 
hantieren vor den Häusern. Eine Radfahrerabteilung — braune Marinesoldaten, das 
Gewehr auf dem Rücken — schlängelt sich über den Marktplatz. Ein großes Poftauto 
tutet und überholt ste. Karren, trottende Pferde, die roten Gesichter der Fuhrleute sind 
alle nach oben gerichtet. Zwei Flugzeuge kreuzen unter den grauen Wolken. Rasch und 
klein wie eine Maus läuft das entferntere am Himmel entlang. Hinter dem kleinen 
Dorf aber breitet sich das Land. Flandern. Es ist grün von den Wiesen und gelb 
von den blühenden Rüben, ganz flach; trübe und resigniert duckt es sich unter dem 
hängenden Gewölk. Silhouetten von Alleen, die die Landstraßen begleiten, stehen geister 
haft auf dem Lande, eine hinter der anderen, wie Schleier, die herabhängen, und alle 
scheinen sie parallel quer durch das Land zu laufen bis zum Horizont, wo eine graue 
Regenwolke Ipern verbirgt. Dazwischen flache graue Wolken, die auf der Erde liegen, 
Wälder und Wäldchen, die niemand kannte, und die plötzlich einen Namen bekamen: 
Polygonenwald, das Wäldchen von Saint-Julien. Hier standen die vier großen englischen 
Geschütze. Hinter den geisterhaften Silhouetten der Alleen Dörfer, Reste von Dörfern, 
dem Auge kaum erkennbar. Zonnebeke, Saint-Julien, Langemarck. Im Frieden werden 
Orte berühmt durch ihre Kultur und ihren Geist, im Krieg durch ihr Unglück. Da liegen 
sie und verstecken sich in der Erde. Still und verzweifelt liegt das Land, und der Donner 
der Geschütze rollt darüber weg. 
Heute, Flandern, mit deinen geisterhaften Alleen, die still stehen und sich nicht bewegen, 
erscheinst du mir wie ein großer Friedhof. 
Die Erde bei den Gräben ist zerrissen. Trichter an Trichter. Der Regen spritzt heute 
in den kreisrunden Lehmtümpeln. Auch die Allee hat mitgekämpft. Die hohen Bäume
	        
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