Der flandrische Kriegsschauplatz
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erste, zweite und dritte Schützengrabenstellung wurde überrannt. Jetzt waren wir in
der Hauptstellung drin! Hurra, da sind ja Geschütze! Wer hätte das gedacht, daß wir
heute noch Geschütze erobern würden! Denn sie wurden unser, neun an der Zahl, und
zwar funkelnagelneue englische Geschütze.... Den Widerstand des Gegners hatten wir
uns ganz anders vorgestellt und sahen nun zu unserer größten Freude, daß wir nur
verhältnismäßig geringe Verluste zu beklagen hatten. Unsere Artillerie hatte zu gut vor
gearbeitet, die Franzmänner und Engländer mürbe zu machen.
In den eroberten Stellungen sah es toll genug aus. Riesige Trichter hatten unsere
schweren Geschosse in den Boden gewühlt, Deckungen und Unterstände zerstört und aus
einandergerissen, und zwischendurch lagen die zerfetzten Körper und Gliedmaßen der Fran
zosen und Engländer. Doch was sage ich! Es waren nicht nur Weiße, die da in Todes
grauen erstarrt lagen, nein, auch Schwarze, Braune, Gelbe und Rote fanden wir, ein
ganzes Völkergemisch, in dem der Tod eine furchtbare Ernte gehalten hatte. Sie alle
lagen da, stumm, starr, die meisten grauenhaft zerfetzt und zerrissen — sie alle ein Zeichen
von Englands gemeiner Gesinnung, das die Aermsten einem sicheren Tode entgegen
geführt hatte. Auch unter den Gefangenen, die wir machten, fanden sich viele Farbige
vor, die sichtlich froh waren, mit dem Leben davongekommen und in deutsche Gefangen
schaft geraten zu sein. Wir staunten, denn wir hatten gedacht, nur Engländer uns
gegenüber zu haben und nun sahen wir, daß wir gegen Angehörige einer ganzen Reihe
von Völkerschaften gekämpft hatten. Wir hatten gesiegt, und die so heiß ersehnten feind
lichen Stellungen waren in unseren Besitz gekommen. Jetzt sollten die Kerle kommen,
um sie wiederzuholen, wir würden sie schon empfangen!"
Auch hier zeichneten sich die Kanadier durch besondere Tapferkeit aus, wie sich aus
einem ausführlichen Bericht der „Daily Mail" über den erfolgreichen deutschen Vorstoß
über den Kanal ergibt: „Man konnte sich nichts Schneidigeres denken, als den ersten und
endgültigen Erfolg der Deutschen bei der Ueberquerung des Kanals. Hinter der Wolke
von grau-grünem Rauch, der die Gräben vor ihnen leerte und die Franzosen verwirrte,
trugen sie fertige Brücken von 25 bis 30 Fuß Länge herbei. Mit bewundernswertem
Mut brachten sie, trotz der Zerstörung der ersten Brücke, zwei Reservebrücken in Stellung
und überschritten schließlich den Kanal, besetzten Lizerne und mehrere Vorpostenstellungen.
All das geschah links von den Kanadiern, deren Stellung dadurch unhaltbar wurde; sie
mußten die 4,7er Zoll-Kanonen im Stich lassen. Aber nach vier Stunden kehrten sie wieder
um und gingen vor. Sie kämpften gegen die unglaublichsten Schwierigkeiten. Sie
trafen entsetzlich kranke, halb blinde Leute mit zitternden Knien, die von den losgelassenen
Gasen betäubt waren. Sie waren auf einem gänzlich unverteidigten flachen Gelände
Schrapnells, Gewehrfeuer und Maschinengewehren preisgegeben. Sie wurden durch alle
möglichen Mittel getroffen, durch Bajonette, Gase, durch Metallstücke in jeder Form
und Größe. Aber sie schlugen tapfer drauf ein ...
Es scheint, daß die Deutschen zu viel Vertrauen in ihre Mittel setzten. Sie wußten,
daß ein gewaltiges Aufgebot von Artillerie hinter ihnen stand, daß ihre Ingenieure und
Chemiker eine Menge neuer Erfindungen ausgeheckt hatten, daß frische Truppen mit den
ermüdeten vermischt waren. Bei ihrem Vormarsch hatten sie so gut wie gar keine Ver
luste erlitten und einen Feind zersprengt, der durch die Gase verwirrt und in den künst
lichen Wolken um seine Sinne gekommen war. Niemals waren deutsche Kriegslist und
Taktik erfolgreicher gewesen. Aber gerade die Siegessicherheit der Deutschen hals den
Kanadiern den Angriff durchzuführen und die kostbaren Geschütze zurückzugewinnen.
Als der deutsche Angriff erfolgte, war den Franzosen nichts übrig geblieben, als
zurückzugehen. Die betäubenden Gase bewegten sich über die feuchte, ungewöhnlich flache
Ebene gleich Zigarrendämpfen, die über ein Tischtuch streichen. Viele Leute, die von