284 Der Seekrieg bis zur Erklärung der Unterseebootsblockade gegen England
Flagge als der eigenen nationalen Flagge bei Handelsschiffen war bisher, daß der Feind
gezwungen wurde, den gewöhnlichen Regeln der Kriegsührung zur See zu folgen und
eine Untersuchung nach der Nationalität und der Art der Ladung des Schiffes einzuleiten,
bevor das Schiff aufgebracht und vor einen Prisenhof zur Entscheidung gestellt wird.
Die britische Regierung hat stets den Gebrauch der britischen Flagge durch ein fremdes
Schiff als berechtigt erachtet, wenn dies geschah, um einer Kaperung zu entkommen. Eine
solche Handlungsweise ist nicht allein keine Verletzung des Völkerrechts, sondern sie ist
ausdrücklich durch das britische Gesetz als berechtigt anerkannt. In der britischen
Handelsschiffahrtsakte von 1894 wird in § 69 gesagt: „Wenn jemand die britische Flagge
gebraucht und den britischen Nationalcharakter an Bord eines Schiffes annimmt, das
ganz oder zum Teil Eigentum ist von Personen, die nicht berechtigt sind, ein britisches
Schiff zu besitzen, und es geschieht zu dem Zwecke, dem Schiffe das Aussehen eines
britischen Schiffes zu geben, dann soll dieses Schiff nur dann für verloren erklärt werden,
wenn die Handlungsweise nicht geschehen ist, um der Kaperung durch einen Feind oder
durch ein fremdes Kriegsschiff in der Ausübung des Kriegsrechtes zu entgehen." Und
die Instruktion an die britischen Konsuln sagt: „Ein Schiff ist der Beschlagnahme unter
worfen, wenn es den britischen Charakter unberechtigt angenommen hat, ausgenommen,
wenn dies geschah, um der Erbeutung zu entkommen." Da wir in der Praxis nicht
dagegen protestiert haben, daß fremde Kauffahrteischiffe die britische Flagge als Kriegs
list gebrauchen, um der Erbeutung durch Kriegführende zu entgehen, so bleiben wir da
bei, daß auch ein britisches Schiff keine Verletzung des Völkerrechts begeht, wenn es die
neutrale Flagge in allen ihm nötig erscheinenden Fällen zu demselben Zwecke hißt.
Die Gesetze des Völkerrechts und der Menschlichkeit verlangen, daß ein Kriegführender
den Charakter eines Handelsschiffes und seiner Ladung feststellt, bevor er zur Erbeutung
übergeht. Deutschland hat kein Recht, sich dieser Verpflichtung zu entziehen. Ein Schiff
mit seiner nichtkombattanten Besatzung und Ladung zu vernichten, so wie Deutschland
es als seine Absicht ankündigt, ist nichts anderes als eine Handlung der Seeräuberei auf
offenem Meere."
Die Bestürzung über die deutsche Unterseeblockade in England war ebenso ungeheuer
wie die begeisterte Zustimmung in ganz Deutschland. Die neutralen Länder wandten
sich mit Protestnoten an beide kriegführenden Parteien. Da dieser Notenwechsel
deren Stellungnahme in keiner Frage geändert hat, wohl aber für die Gestaltung der
gesamten diplomatischen Beziehungen zu diesen Ländern von größter Bedeutung gewesen
ist, muß er im Zusammenhang mit der Politik der Neutralen erörtert werden.
Die unmittelbaren Folgen der deutschen Ankündigung waren die vorläufige Ein
stellung der Schiffahrt auf verschiedenen englischen und holländischen Linien und eine
beträchtliche Erhöhung der Versicherungsprämien und der Frachtsätze in England.
17. November 1914.
Amtliche deutsche Meldung: Teile unserer Ostseestreitkräste haben die Einfahrt des
Lib auer Hafens durch versenkte Schiffe gesperrt und die militärisch wichtigen Anlagen
beschossen. Torpedoboote, die in den Jnnenhafen eindrangen, stellten fest, daß feindliche
Kriegsschiffe nicht im Hafen waren.
„Daily Mail" berichtet dazu nachfolgende Einzelheiten: „Die Beschießung dauerte
vier Stunden. Es wurden verschiedene Fabriken, der Bahnhof und eine Anzahl Wohn
häuser in den ärmeren Stadtvierteln beschädigt, sowie ein Petroleumvorratshaus durch
Brand zerstört. Ferner wurden fünf Leute getötet und dreißig bis vierzig verwundet."