Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

258 Rußland während des ersten Kriegshalbjahres 
1914 nur um 23 Prozent geringer als im November 1913. Zeitweilige Verschiebung 
der Fälligkeitstage für Darlehen und die Einschränkung des Bedarfs in den 
ersten Augenblicken nach der Kriegserklärung hätten dem Handel bedeutende Schwierig 
keiten verursacht. Dennoch habe sich die Lage schnell gebessert. Die Messe in Nischny- 
Nowgorod habe bereits einen befriedigenden Erfolg gehabt und eine Preissteigerung für 
gewisse Waren erzeugt. Eine Arbeitslosigkeit von Industriearbeitern sei nicht beobachtet 
worden, außer in den Gegenden, in denen sich die Kriegsoperationen abspielen, wo die 
Arbeitslosigkeit durch das Aufhören der industriellen Produktion bedingt worden sei. 
Die verhältnismäßig günstige Lage erkläre sich besonders durch die Erhöhung der Leistungs 
fähigkeit der Arbeiter infolge des Verbotes des Spirituosenverkaufs. Sie wiege die 
Verminderung der Arbeiterkontingente, die durch deren Berufung zu den Fahnen hervor 
gerufen worden ist, bis zu einem beträchtlichen Grade aus. 
Demgegenüber berichtet die „Vossische Zeitung" nach Petersburger Blättern, der russische 
Handel sei nach der Einstellung der Schiffahrt im Hafen von Archangelsk während des 
Winters und dadurch, daß fast sämtliche Verbindungen mit Schweden und Norwegen, 
soweit der Wasserverkehr in Frage kommt, eingestellt worden sind, in eine außerordent 
lich schwierige Lage geraten. Große Kaviarmengen häufen sich in den verschiedenen 
Stapelplätzen und können selbst zu lächerlich niedrigen Preisen nicht abgesetzt werden; 
eine Lombardierung hat die russische Staatsbank abgelehnt. Sehr erheblich verschlechtert 
hat sich auch die Lage der Holzindustrie. Eine erhebliche Anzahl von Zellstofffabriken 
hat den Betrieb vollständig eingestellt. Zwar hat die russische Heeresverwaltung größere 
Lieferungsaufträge von gesägtem Holz, das zu Bauten bei den Festungswerken von Kowno, 
Grodno, Lomsha, Nowo-Georgiewsk und Brest-Litowsk, sowie zu Küstenbefestigungen bei 
Kronstadt und Riga verwendet werden soll, vergeben, doch haben die Lieferanten, trotz 
dem sie die bestellten Hölzer abgeliefert haben, nur in wenigen Fällen ausreichende Be 
zahlung erhalten. Sehr schwer leidet der Getreidehandel unter der unterbundenen 
Ausfuhr. In Südrußland herrscht eine Ueberfülle an Getreidevorräten, dagegen in Polen 
und in den baltischen Provinzen ein sehr starker und empfindlicher Mangel an Korn. 
Die in den letzten drei Jahren von der Regierung angelegten Getreidespeicher sind längst 
leer. Auch die Lederindustrie und der außerordentlich ausgedehnte Felle- und 
Häutehandel leiden sehr. Das Fehlen des Gerbstoffes lähmt die weitverbreitete Leder 
industrie Rußlands vollständig. Alle Versuche, die deutschen Gerbstoffe, die früher in großen 
Mengen nach Rußland eingeführt wurden, nachzuahmen, sind fehlgeschlagen. Vollständig 
darnieder liegt der Pelzhandel. Der große deutsche, Pariser und Londoner Markt sind 
ihm gesperrt und selbst in Petersburg, Moskau und in den anderen großen Städten 
des Reiches stockt der Handel mit Pelzen vollständig. Dies trifft besonders aus wert 
volle Pelze zu. Dagegen sind Schafpelze recht begehrt, da die Heeresverwaltung einen 
recht großen Bedarf hat. Die bedeutende russische Spiritusindustrie ist zu einem er 
heblichen Teil eingegangen, da der Absatz durch das Branntweinverkaufsverbot fast voll 
ständig fehlt. Die Zahl der Zahlungseinstellungen in Rußland sei trotz des be 
stehenden Moratoriums ganz ungeheuer. Auch die Arbeitslosigkeit nehme von Tag 
zu Tag zu und verursache dem russischen Ministerium des Innern schwere Sorgen." 
In Friedenszeiten führt das Zarenreich große Mengen von Nahrungsmitteln aus, 
Getreide, Butter, Zucker, Eier, Fleisch usw. Aus der Unmöglichkeit, diese Erzeugnisse 
während des Krieges weiterzugeben, hat sich ein ungeheurer Ueberfluß an diesen Nah 
rungsmitteln in Rußland angesammelt. Daß trotzdem eine übermäßige Steigerung 
der Lebensmittelpreise eintrat, erklärt die „Nowoje Wremja" durch den Mangel 
an entsprechenden Organisationen und Preisregelungen durch die Regierung sowie durch 
das Versagen der Bodenproduktion. Die Händler gewinnen beim Verkaufe von Fleisch
	        
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