Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

190 Die Türkei und der Heilige Krieg bis zu den Dardanellen-Kämpfen 
zugesichert wurde. Ein vorteilhafteres Abkommen konnte es für England nicht geben; 
denn damit hatte es sich nicht nur den nächsten Verbindungsweg zu seinen großen Kolonien 
gesichert und seine Stellung in Aegypten sehr verstärkt, es hatte auch Frankreich versöhnt 
und in eine koloniale Unternehmung lanciert, die es für eine Reihe von Jahren be 
schäftigen mußte. Gleichzeitig lag in diesem Abkommen der Keim zu ernstlichen Verwick 
lungen Frankreichs mit Deutschland, das seinerzeit einfach vor eine vollendete Tatsache 
gestellt wurde. Uebrigens gaben im gleichen Jahre auch die anderen Mächte, Deutschland 
merkwürdigerweise einbegriffen, ihre Einwilligung dazu, daß England nicht verpflichtet 
sein soll, seiner Okkupation Aegyptens ein zeitliches Ziel zu setzen. 
Daß die Engländer, trotz ihrem dem türkischen Sultan wiederholt gegebenen Ver 
sprechen, sie würden seine Hoheitsrechte respektieren, am 13. August 1914 durch den 
ägyptischen Ministerrat den Krieg Aegyptens gegen Deutschland und Oesterreich-Ungarn 
erklären ließen mit der Begründung, das Land müsse vor einem etwaigen Angriff der 
Feinde Englands sicher gestellt werden, und das Dekret durch den von ihnen eingesetzten 
und gegängelten Regenten Rouchdy Pascha zeichnen ließen — der rechtmäßige Khedive 
Abbas Hilmi II. war kurz zuvor in Konstantinopel durch das Attentat eines nationali 
stischen ägyptischen Studenten ernstlich verwundet worden — war ein Völkerrechtsbruch 
schlimmster Art, ein vollständig ungültiger Akt einer dazu unzuständigen Behörde 
(vgl. I, S. 59). Schon damit war Aegypten geradezu von England annektiert worden, das 
nun ungehindert die kaufmännischen und militärischen Interessen Deutschlands und 
Oesterreich-Ungarns schädigen, Schiffe kapern, Gefangene machen und Sendungen ab 
fangen konnte, die für die Zentralmächte bestimmt waren oder von ihnen ausgingen. Die 
Ausweisung der Gesandten Deutschlands und Oesterreichs (vgl. 
S. 179) setzte der brutalen Vergewaltigung der ägyptischen Hoheitsrechte die Krone auf. 
Ein offenes Geheimnis ist es, daß der Regisseur all dieser Vorgänge Lord K i t ch e n e r 
war, der seiner früheren Reformbestrebungen wegen eine gewisse Popularität in Aegypten 
genießt. General Bhng, der zu Beginn des Kriegs das Oberkommando über die eng 
lischen und ägyptischen Truppen inne hatte, ließ Kitcheners Weisungen ausführen, ohne 
die ägyptische Regierung besonders davon zu verständigen. So vergewaltigt England 
das Völkerrecht und so schreitet es über feierliche Verträge hinweg, wenn dies seinem 
Vorteil entspricht. Ein eigenartiges Gegenspiel zu der erbitterten Wut und sittlichen 
Entrüstung über Deutschlands Verletzung der „belgischen Neutralität"! 
Kitchener hat auch in jahrelanger Arbeit die für England militärisch besonders wich 
tigen Punkte am Mittelmeer und am Roten Meere in Aegypten und im Sudan gewaltig 
verstärkt, um allen Möglichkeiten gegenüber gewappnet zu sein, die bei kriegerischen 
Aktionen im Mittelmeerbecken den Besitz Aegyptens gefährden könnten. 
Nicht unerwähnt soll schließlich bleiben, daß Aegypten für den gesamten Islam dadurch 
eine ganz eigenartige Bedeutung hat, daß die wichtigste Bildungsstätte des Landes, 
die altberühmte Universität „El Aschar", das geistige Zentrum aller mohammedanischen 
Völker bildet, deren Einheitsbestrebungen und Sehnsucht nach Befreiung aus dem ihnen 
auferlegten Joch von dort aus systematische Unterstützung finden. 
Der Suezkanal 
Als das Projekt des Suezkanals anfing, an Boden zu gewinnen, und Lesfeps' Energie 
alle Hindernisse überwand, die ihm namentlich von England in den Weg gelegt wurden, 
schien es den Engländern an der Zeit, den möglichen politischen Folgen dieses Unter 
nehmens dadurch einen Riegel vorzuschieben, daß sie sich „zur Sicherung der Schiffahrt" 
gewaltsam in den Besitz der den Südeingang des Roten Meeres beherrschenden Perim- 
Insel setzten. Darauf fußend, hielten die Briten es anfänglich auch für überflüssig,
	        
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