186 Die Türkei und der Heilige Krieg bis zu den Dardanellen-Kämpfen
Aus Afghanistan
Ende September 1914.
Der „Jkdam" meldet auf Grund persischer Mitteilungen, daß die Russen ihre Be
festigungen an der afghanischen Grenze beiKuschk verstärken und daß die A f g h a n e n
einen Hügel angegriffen haben, der den russischen, in der Richtung nach H er at im Bau
begriffenen Tunnel beherrscht. Der Tunnel soll eingestürzt und mehrere Russen sollen
dabei verschüttet worden sein. Der Emir von Afghanistan habe an die G r e n z e v o n
Turkestan größere Truppenmassen entsandt, die er noch zu verstärken beabsichtige.
23. Oktober.
Ein einflußreiches Mitglied des jungtürkischen Komitees „TM<m et Progres“, das zu
Beginn des europäischen Kriegsausbruchs in besonderer Mission nach Afghani st an
entsandt wurde, ist dort, wie der „Frankfurter Zeitung" aus Konstantinopel gemeldet
wird, glücklich angelangt. Es wurde vom Emir empfangen, der wiederum einen seiner
treuesten Räte, den Emir AliAfghan, nach Konstantinopel delegierte, voraussichtlich
zu dem Zweck, sich über die Vorschläge des türkischen Vertrauensmannes an Ort und
Stelle zu vergewissern, dann auch, um sich über die allgemeine Lage eingehend am
Kalifatssitze zu informieren. Emir Ali Afghan mußte als Diener einer hohen persischen
Persönlichkeit verkleidet die beschwerliche und gefahrvolle Reise nach Konstantinopel zu
rücklegen. Er hatte wichtige Besprechungen mit den leitenden türkischen Staatsmännern
und wurde bei einem Selamlik auch dem Sultan vorgestellt. Eine Sondermission mit
einem eigenhändigen Schreiben des Sultan-Kalifen an den Emir ist jetzt unterwegs.
Der Abschluß eines Vertrags zwischen Afghanistan und der Türkei
wird als vollzogen angenommen.
Angesichts der Erörterungen, welche die Nachrichten über militärische Vorbe-
reitungenAfghanistans hervorgerufen haben, veröffentlicht ein gebildeter Afghane
in der in Konstantinopel erscheinenden türkischen religiösen Zeitschrift „Sebil ur Neschad"
(Der richtige Weg) einen Artikel, worin er die in Afghanistan unter dem verstorbenen
Emir Abdurrahman und dessen Sohn, dem gegenwärtigen Emir Habibullah Khan, ge
machten Fortschritte aufzählt. Besonders die Industrie habe sich derart entwickelt, daß das
Land alle feine Bedürfnisse selbst decken könne. Vor allem hätten beide Emire ihr Augen
merk der Gründung von Militärfabriken zugewendet, die nunmehr nicht nur Gewehre und
Munition, sondern auch Kanonen, Maschinengewehre und rauchloses Pulver zur Bewaff
nung der regulären Armee sowie von einer Million Freiwilligen Herstellen könnten. Die
Meldungen über die Konzentrierung einer bedeutenden Truppenmacht an der afghanisch
indischen und der afghanisch-russischen Grenze seien zweifelhaft; Tatsache soll jedoch sein,
daß Afghanistan seine ganze Armee mobilisiert habe und bereit halte. Zwar gebe es keine
Eisenbahnen in Afghanistan, die afghanische Regierung verfüge jedoch über Hunderte
von Automobilen, sowie über mehr als 160 Elefanten. Außerdem befänden sich die Straßen
in gutem Zustand, so daß militärische Transporte leicht bewerkstelligt werden könnten.
Anfang November 1914.
Wie die über Persien in Konstantinopel eingetrosfene bedeutendste afghanische Zeitung
„Siradsch al Ahbari" berichtet, habe der Emir von Afghanistan eine Armee von
170 000 Mann mit 135 Geschützen unter Führung seines Sohnes des Emirs, Bahadur-
Khan, nach der englischen Grenze vormarschieren lassen. Die von Herat nach
Puscht führende Eisenbahn sei zerstört worden, um den englischen Aufmarsch zu ver
hindern. Eine Anzahl der kriegerischen indischen Grenzstämme habe sich dem Heere
Bahadur-Khans angeschlossen. An der Grenze herrsche Aufruhr gegen England, die eng
lischen Beamten seien gefangen genommen, einige von ihnen getötet worden.